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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

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Heft 60
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Strzygowski, Josef: Byzanz und die ostchristliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0285

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BYZANZ UND DIE OSTCHRISTLICHE KUNST
VON JOSEF STRZYGOWSKI

Vor kurzem sind hintereinander zwei Bücher er-
schienen, das eine von O. M. Dalton »East Christian
art« (Oxford, Clarendon press, 1925) und die zweite
Auflage von Charles Diehls »Manuel de l’art
byzantin« (Paris, Picart, 1925), die die Schrift-
leitung mir zur Besprechung vorlegte. Ich benütze
den im Namen beider Bücher hervortretenden
Gegensatz, um zu ihnen grundsätzlich Stellung
zu nehmen.
Es ist beachtenswert, wie zäh sich das Schlagwort
Byzanz in der geschichtlichen Forschung behauptet.
Es werden immer noch neue Zeitschriften unter
diesem Namen gegründet (Byzantion 1924) und
für dieses Jahr (1926) hätten gar zwei Orte gern
byzantinische Kongresse abgehalten, Belgrad und
Hamburg. Worin liegt eigentlich die Zugkraft
solcher Unternehmungen ? Ihr Rahmen ist so weit
gespannt, daß die bildende Kunst dabei nur einen
verschwindend kleinen Platz einnimmt. Ich muß
daher etwas weiter ausgreifen, wenn ich den Kunst-
freunden erklären will, warum »Byzanz« für den
christlichen Osten dasselbe bedeutet wie »Rom«
für den Westen und mehr; denn dort hat auch
noch der Islam bei der ganzen Sache etwas mit-
zureden.
Als 1891 Krumbacher, Verfasser und andere die
»Byzantinische Zeitschrift« gründeten, da sollten
der bis dahin brach liegenden Forschung über
Osteuropa und den Balkan Anregungen gegeben
und ein Mittelpunkt geschaffen werden, der die
getrennt arbeitenden Forscher durch Austausch
der Gedanken, Kritik und Schriftenverzeichnisse
zur Zusammenarbeit bringen wollte. Diese ge-
lehrte Absicht allein wäre es gewiß nicht ge-
wesen, die dem Unternehmen zum Siege ver-
half, ja ein halbes Dutzend paralleler Unter-
nehmungen zuerst in Rußland, dann in anderen
Staaten hervorrief. Das Entscheidende war die
Möglichkeit, für die ostchristlichen und Balkan-
völker nun endlich den Bann der »Geschichte«,
das auf die westeuropäische Herrenmeinung ein-
gestellte geschichtliche Denken in seiner Ein-
seitigkeit zu brechen und mindestens für Europa

den vollen Umfang einer auf wissenschaftlichem
Boden arbeitenden Geschichtsforschung durch-
zusetzen. Ist das wirklich erreicht worden ?
Nehmen wir den Fall der Kunstgeschichte.
Wenn die Kunsthistoriker nicht so völlig teil-
nahmslos gegenüber der rein wissenschaftlichen
Arbeit wären und ruhig an dem alten, seit Jahr-
hunderten von der Ästhetik und unseren über-
kommenen Sammlungen und Bibliotheken ge-
lieferten Arbeitsstoffe weiter kauten, würden sie
längst aufhorchen und mindestens Osteuropa und
den Balkan mit in den Kreis ihrer Gedanken ziehen
— ich will vom Norden und dem eigentlichen
Asien zunächst gar nicht sprechen. Nichts davon!
Die Aufrechthaltung des alten Mittelmeerstamm-
baumes, das ist jene Aufgabe, die unsere Kunst-
geschichte sich nach wie vor zum Ziele gesetzt
glaubt. Jede Abweichung von dieser Linie erscheint
ihr überflüssig, womöglich unwissenschaftlich.
Daß das Gegenteil wahr sein könnte, darüber
denkt sie gar nicht nach.
Nun mehren sich aber seit Jahrzehnten die An-
zeichen, daß, was ich schon 1887 angesichts der
altitalienischen Kunst in meinem »Cimabue und
Rom« bemerkte, die Anfänge der mittelalterlichen
und neueren Kunst Westeuropas ließen sich nicht
ohne genaue Kenntnis des Ostens — und wie ich
heute hinzufüge des Nordens — behandeln, tat-
sächlich richtig ist. In meinen Arbeiten über
Asien und dem Werke »Der Norden in der
bildenden Kunst Europas« haben ich und meine
Mitarbeiter das zur Genüge deutlich gemacht.
Trotzdem heißt noch immer alles, womit man
beim Übergange vom sogenannten Altertume zum
Mittelalter nichts Rechtes anzufangen weiß, spät-
römisch oder im besten Falle byzantinisch. Ist es
bei den Kunsthistorikern ausgesprochene Faul-
heit, so ist es bei den Politikern ebenso aus-
gesprochene Schlauheit, wenn sie überall den un-
verfänglichen Namen Byzanz einschieben, wo es
sich darum handelt, die Rechte Osteuropas und
des Balkans auf wissenschaftlichem Boden zu ver-
teidigen. Unter diesem Deckmantel läßt sich alles

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