BERICHTE AUS DEN KUNSTZENTREN
DIE WIEDERHERSTELLUNG DER KANZEL DES
GIOVANNI PISANO IM DOM ZU PISA
Im Mai 1926 wurde im Dom von Pisa die rekon-
struierte Kanzel des Giovanni Pisano feierlich
enthüllt; ihre Rekonstruktion ist nach dem Plan
und unter der Leitung von Peleo Bacci ausge-
führt worden, der damals Direktor des Denkmal-
pflegeamts in Pisa war1.
Die Kanzel, nach den Urkunden zwischen 1302
und 1310 entstanden, hatte ursprünglich rechts
am Eingang zum Chor ihren Platz, also nicht
an der heutigen Stelle. Die große Feuersbrunst
im Jahre 1595, die den Dom mit Ausnahme
der Kuppel einäscherte, ließ das großartige Werk
ziemlich unbeschädigt.
Aber während der Renovierungsarbeiten am Dom
wurde ihr das Urteil gesprochen. 1599 kam auf
Anregung des Erzbischofs von Pisa aus Florenz
derBefehl des Großherzogs Ferdinand I., die Kanzel
abzubrechen. Sie wurde in ihre Bestandteile auf-
gelöst, die einzelnen Stücke, wenig sorgfältig be-
handelt, wurden umhergeworfen, kamen abhanden,
und was übrig blieb, war teilweise beschädigt.
Als der Bildhauer Fancelli 1627 eine neue Kanzel
für den Dom zu schaffen hatte, benützte er die
Konsolen von Giovannis Werk zu einer mon-
strösen Treppenmißgeburt, verwandte auch einen
Teil der figürlichen Stücke. In der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts erst wurde die Wiederher-
stellung der Kanzel in ihre ursprüngliche Ge-
stalt ein Problem, das den Kunstgelehrten ver-
schiedener Nationen viel zu schaffen machte.
Die nach den abschließenden Forschungen Peleo
Baccis rekonstruierte achteckige Kanzel erhebt
sich auf vier Säulen, von denen zwei durch Löwen
getragen werden, und auf zwei Stützfiguren:
Herkules und der Erzengel Michael. Das Acht-
eck wird geschlossen durch zwei ebenfalls als
Stützen dienende Gruppen: Christus mit den
vier Aposteln und die Kirche (früher »La Pisa«)
mit den vier Kardinaltugenden. Säulen und Stütz-
1 P&leo Bacci, »La Ricostruzione del Pergamo di Giovanni
Pisano, nel Duomo di Pisa«. Bestetti e Tumminelli,
Milano-Roma 1926, Ministero della Pubblica Istruzione.
figuren ruhen auf einer runden, niedrigen (er-
gänzten) Basis mit umlaufender Inschrift, die über-
liefert war. Im Zentrum, ebenfalls als Stütze, die
Gruppe der drei theologischen Tugenden mit den
allegorischen Figuren des Triviums, des Quadri-
viums und der Philosophie am Sockel. Die beiden
ersten Gruppen bilden die inneren Stützpunkte
eines rechteckigen Verbindungsstückes zwischen
der Kanzelempore und der Treppe, das am Ende
von zwei andern Säulen getragen wird. Die acht
Stützpunkte der eigentlichen Kanzel, also die vier
Säulen, die beiden Stützfiguren und beide Stütz-
gruppen, tragen auf reichen Kapitellen Konsolen
(mensole) in der Art, daß auf je zwei zueinander
geneigten Halbbogen der Konsolen ein Basrelief
des oberen Kanzelteiles ruht, von den mensole
durch die Bodenplatte der Empore getrennt, auf
deren Profil die zweite ebenfalls überlieferte In-
schrift eingegraben ist. So entsprechen dem Acht-
eck der Platte sieben Basreliefs. Dort, wo über den
beiden Gruppen sich die Kanzel nach dem recht-
eckigen Treppenzugang (ballattoio) öffnet, ist für
ein Relief naturgemäß kein Platz, dagegen werden
beide Seiten des Rechtecks von je einem Relief
begleitet, so daß also im ganzen neun Basreliefs
vorhanden sind, die sieben gewölbten der eigent-
lichen Kanzel und die beiden ebenen des Zu-
ganges. Diese beiden einander gegenüberstehenden
sind die »Verkündigung« (mit Szenen aus dem
Leben Johannes des Täufers) und die »Ver-
dammten«. Anschließend an die »Verkündigung«
folgen, im Achteck, die sieben andern: Geburt
Jesu, Anbetung der Könige, Darbietung imTempel,
Bethlehemitischer Kindermord, Verrat Judas und
Gefangennahme Christi, die Kreuzigung, die Aus-
erwählten; an dies (achte) Relief schließt sich
dann seitlich als ebenes Stück die Darstellung der
Verdammten. Beide Platten bilden zusammen die
Szene des Jüngsten Gerichts, getrennt durch die
Figur Christi als letzten Richters. Zwischen den
andern sechs Reliefs stehen sechs Propheten
und Christus auf dem Basilisken. Innerhalb der
mensole schwingen sich die vierzehn Gestalten
von Propheten und Evangelisten; zwischen den
14
DIE WIEDERHERSTELLUNG DER KANZEL DES
GIOVANNI PISANO IM DOM ZU PISA
Im Mai 1926 wurde im Dom von Pisa die rekon-
struierte Kanzel des Giovanni Pisano feierlich
enthüllt; ihre Rekonstruktion ist nach dem Plan
und unter der Leitung von Peleo Bacci ausge-
führt worden, der damals Direktor des Denkmal-
pflegeamts in Pisa war1.
Die Kanzel, nach den Urkunden zwischen 1302
und 1310 entstanden, hatte ursprünglich rechts
am Eingang zum Chor ihren Platz, also nicht
an der heutigen Stelle. Die große Feuersbrunst
im Jahre 1595, die den Dom mit Ausnahme
der Kuppel einäscherte, ließ das großartige Werk
ziemlich unbeschädigt.
Aber während der Renovierungsarbeiten am Dom
wurde ihr das Urteil gesprochen. 1599 kam auf
Anregung des Erzbischofs von Pisa aus Florenz
derBefehl des Großherzogs Ferdinand I., die Kanzel
abzubrechen. Sie wurde in ihre Bestandteile auf-
gelöst, die einzelnen Stücke, wenig sorgfältig be-
handelt, wurden umhergeworfen, kamen abhanden,
und was übrig blieb, war teilweise beschädigt.
Als der Bildhauer Fancelli 1627 eine neue Kanzel
für den Dom zu schaffen hatte, benützte er die
Konsolen von Giovannis Werk zu einer mon-
strösen Treppenmißgeburt, verwandte auch einen
Teil der figürlichen Stücke. In der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts erst wurde die Wiederher-
stellung der Kanzel in ihre ursprüngliche Ge-
stalt ein Problem, das den Kunstgelehrten ver-
schiedener Nationen viel zu schaffen machte.
Die nach den abschließenden Forschungen Peleo
Baccis rekonstruierte achteckige Kanzel erhebt
sich auf vier Säulen, von denen zwei durch Löwen
getragen werden, und auf zwei Stützfiguren:
Herkules und der Erzengel Michael. Das Acht-
eck wird geschlossen durch zwei ebenfalls als
Stützen dienende Gruppen: Christus mit den
vier Aposteln und die Kirche (früher »La Pisa«)
mit den vier Kardinaltugenden. Säulen und Stütz-
1 P&leo Bacci, »La Ricostruzione del Pergamo di Giovanni
Pisano, nel Duomo di Pisa«. Bestetti e Tumminelli,
Milano-Roma 1926, Ministero della Pubblica Istruzione.
figuren ruhen auf einer runden, niedrigen (er-
gänzten) Basis mit umlaufender Inschrift, die über-
liefert war. Im Zentrum, ebenfalls als Stütze, die
Gruppe der drei theologischen Tugenden mit den
allegorischen Figuren des Triviums, des Quadri-
viums und der Philosophie am Sockel. Die beiden
ersten Gruppen bilden die inneren Stützpunkte
eines rechteckigen Verbindungsstückes zwischen
der Kanzelempore und der Treppe, das am Ende
von zwei andern Säulen getragen wird. Die acht
Stützpunkte der eigentlichen Kanzel, also die vier
Säulen, die beiden Stützfiguren und beide Stütz-
gruppen, tragen auf reichen Kapitellen Konsolen
(mensole) in der Art, daß auf je zwei zueinander
geneigten Halbbogen der Konsolen ein Basrelief
des oberen Kanzelteiles ruht, von den mensole
durch die Bodenplatte der Empore getrennt, auf
deren Profil die zweite ebenfalls überlieferte In-
schrift eingegraben ist. So entsprechen dem Acht-
eck der Platte sieben Basreliefs. Dort, wo über den
beiden Gruppen sich die Kanzel nach dem recht-
eckigen Treppenzugang (ballattoio) öffnet, ist für
ein Relief naturgemäß kein Platz, dagegen werden
beide Seiten des Rechtecks von je einem Relief
begleitet, so daß also im ganzen neun Basreliefs
vorhanden sind, die sieben gewölbten der eigent-
lichen Kanzel und die beiden ebenen des Zu-
ganges. Diese beiden einander gegenüberstehenden
sind die »Verkündigung« (mit Szenen aus dem
Leben Johannes des Täufers) und die »Ver-
dammten«. Anschließend an die »Verkündigung«
folgen, im Achteck, die sieben andern: Geburt
Jesu, Anbetung der Könige, Darbietung imTempel,
Bethlehemitischer Kindermord, Verrat Judas und
Gefangennahme Christi, die Kreuzigung, die Aus-
erwählten; an dies (achte) Relief schließt sich
dann seitlich als ebenes Stück die Darstellung der
Verdammten. Beide Platten bilden zusammen die
Szene des Jüngsten Gerichts, getrennt durch die
Figur Christi als letzten Richters. Zwischen den
andern sechs Reliefs stehen sechs Propheten
und Christus auf dem Basilisken. Innerhalb der
mensole schwingen sich die vierzehn Gestalten
von Propheten und Evangelisten; zwischen den
14