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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

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Heft 58
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Kieslinger, Franz: Der plastische Schmuck des Westportales bei den Minoriten in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0174

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FRANZ KIESLINGER

Baues bestimmt ist, oder die Bemerkung von 1357 maßgebend: vel ubicumque erit missa
postquam ecclesia perficietur, welche deutlich zeigt, daß damals das Langhaus eben gar
nicht existierte. Die Vollendung der Kirche erfolgte behelfsmäßig. Der große Fassadengiebel
war in der ersten Generation des 15. Jahrhunderts in Bruchstein, nur für billigen Ver-
putz berechnet, fertiggestellt worden. Die Verkleidung mit behauenem Stein ist von 1903.
Es wäre hier anzumerken, daß die großen haubenförmigen, riesig hohen und voluminösen
Dächer des frühen 15. Jahrhunderts eine eigentümliche Parallele für den Formzwang der
gleichzeitigen Plastik sind, die kubisch-klobige Massen über alles liebt. Ja vielleicht ist das
Prinzip der Hallenkirche in seiner ästhetischen Notwendigkeit nur ein Vorausahnen des
Kommenden in der unbestritten führenden Architektur, der die figürliche Plastik nur ein-
und untergeordnet ist.
Die Fassade ist mit Ausnahme des unselig verneuerten und ernüchterten Giebels von
einer herben Einfachheit. Ein Teil ihrer Wirkung ist heute wegen der Verschiebung der
Niveau Verhältnisse am Ende des 18. Jahrhunderts nur mehr zu ahnen. Nach Angabe der
Geschichte der Stadt Wien hat man hier um diese Zeit das Straßenniveau um Meter
aufgeschüttet. Drei Portale mit drei darüber aufgesetzten Fenstern durchbrechen die West-
wand fast bis zur vollen Höhe der Innengewölbe. Die Proportion der Spitzbogen sind von
einer breitwohligen Behäbigkeit, wie sie bei uns bis an das Ende des sechsten Jahrzehnts
im 14. Jahrhundert angängig war. Die Fassade ist ebenso, wie es das Reliefprinzip des
mittleren 14. Jahrhunderts ist, sehr flach modelliert, die Zeichnung der Einzelheiten ener-
gisch gegen die glatte Grundfläche abgesetzt. Die einzigen schattenden Tiefen in den
Portalgewänden und den sehr kräftigen Wasserschlägen. Die Frage des französischen Ein-
flusses ist schon hier zu diskutieren. Unfranzösisch ist die überaus stark betonte Beschei-
denheit der Einzelformen: nicht einer der drüben so beliebten durchbrochenen Wimperge
über den Spitzbogen. Das nackte tektonische Gerüst liegt zutage. Dennoch gibt es eine
um keine ganze Generation ältere sehr verwandte französische Fassade. Sie liegt allerdings
weit weg, an der Kathedrale von Famagosta auf Cypern. (Abbildung Michel 11/2, Figur 357.)
Natürlich hat der Franzose über jedem Spitzbogen einen Giebel. Dennoch scheint mir die
Erfindung unserer Fassade, wenn auch in Kenntnis westlicher Lösungen, heimisch zu sein.
Ohne damit einen Beweis versuchen zu wollen, ist es interessant zu wissen, daß sich in
der fraglichen Zeit der König von Cypern in — Wien aufgehalten hat und sich hiebei recht
gut amüsierte, wenn auch sein Zweck, eine Art Kreuzzug zu seiner Entlastung, nicht zu-
stande kam. Die früheren einheimischen Portalbildungen der Grazer Leechkirche von
1283 sowie die von Lilienfeld etwas später, gleichen recht enge mit ihrer reinen Profilie-
rung ohne eingeschaltete Baldachine einer Vorstufe der entsprechenden Teile unserer
Minoritenfassade. Zur Begründung des Baufortschrittes an der Westwand von Nord nach
Süd führe ich folgendes an: Das nördliche Seitenportal wird in zweimal rechtwinklig ge-
brochener Linie von dem Wasserschlag umfahren. Die beiden recht unorganisch neben
dem Spitzbogen auf figurale Konsolen gesetzten Türmchen wagen sich nicht darüber
hinaus. Ganz anders beim südlichen Seitenportal. Die Türmchen überschneiden vertikal

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