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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 11.1927

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Heft 56
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Panofsky, Erwin: Ein Bildentwurf des Jacopino del Conte
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https://doi.org/10.11588/diglit.55197#0080

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ERWIN PANOFSKY

bestimmende Mittelsenkrechte in einer stehenden Vertikalfigur weitergeführt, nur daß
das Gemälde einen geharnischten Kriegsknecht, die Zeichnung dagegen eine der drei
Marien mit dieser kompositorischen Aufgabe betraut hat1; so schmiegt sich der Körper des
den Rumpf des Toten zart unterstützenden Jünglings, der durch Gewandung, jugendliche
Schönheit und rührenden Leidensausdruck in unzweideutiger Weise als der (in der Gruppe
unter dem Kreuz unüblicherweise fehlende) hl. Johannes gekennzeichnet ist, der
durch die Leiter festgelegten Schräge an; und so scheint die Bewegung der Maria und
ihrer Nachbarfigur zur Rechten der gleichen Schräge sich anzupassen. Zum andern aber
wird das Dreiecksmotiv durch die Figurenanordnung abgewandelt und gleichsam kontra-
pungiert, indem die einander zustrebenden Bewegungszüge in den Gestalten des »Joseph
von Arimathia« und »Nikodemus«2 wieder auseinandergeführt werden, und indem —
ein ebenso eigenartiges als wirksames Gegenmotiv — die beiden achsenmäßig gegenein-
ander verschobenen, richtungsmäßig aber einander entsprechenden Schächerfiguren zu
einer entschiedenen Diagonalbewegung abbiegen, und, wie die Kelchblätter einer riesigen
Blume, die ganze obere Figurengruppe gleichsam zwischen sich emporwachsen lassen.
Allein diesen grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zwischen Bild und Zeichnung stehen fast
ebenso grundsätzliche Verschiedenheiten gegenüber, deren Bedeutung vielleicht dahin zu-
sammengefaßt werden darf, daß das Gemälde der Zeichnung gegenüber im ganzen
dichter gefüllt und dennoch im einzelnen plastisch klarer erscheint, und daß
es sowohl das Hauptthema (die Konvergenz zum gleichschenkligen Dreieck), als auch
das Gegenthema (die Divergenz des kelchhaften Auseinanderstrebens) auf einen ent-
schiedeneren und erschöpfenderen Ausdruck bringt. Beides hängt eng mit ein-
ander zusammen, denn die sorgfältige Ausfüllung der in der Zeichnung noch ungleich-
mäßig verteilten Intervalle begünstigt ebenso die Durchführung einer vollendeten Sym-
metrie, als anderseits die klarere Herausarbeitung der plastischen Einzelmotive die diese
Symmetrie durchwaltenden Bewegungsströme deutlicher hervortreten läßt.
So verdeckt am linken Bildrand ein eingeschobenes Porträt und ein flatternder Tuchzipfel
den formenarmen Baumstamm, an den der gute Schächer gefesselt ist, zurückwehendes Ge-
wand füllt das Stück Himmel zwischen diesem und dem »Joseph von Arimathia«, ein Putten-
engel fliegt über dem »Nikodemus«, und die am nachdrücklichsten veränderte Frauengestalt
links neben Maria (durch das — auch seinerseits die Dichtigkeit des Bildgewebes erhöhende —
Salbgefäß als »Magdalena« gekennzeichnet) ist breit genug in die Fläche entwickelt, um
mit dem heroinenhaften Leib und den mächtigen Massen des Gewandes die symmetrie-
gefährdende Lücke unterhalb des guten Schächters zu schließen; und gleichwohl tritt das
einzelne klarer hervor, weil alle Überschneidungen wenn nicht vermieden, so doch ge-
mildert sind: »Nikodemus« greift nicht mehr über die Schulter Christi hinweg, sondern
hinter ihr hindurch, wie auch die Unterschenkel des Leichnams nur mehr zum klein-
i Vgl. S. 11, Anm. 2. 2 Es steht dahin, ob wir die beiden über den Querbalken des Kreuzes gelehnten Gestalten
wirklich mit diesen heiligen Männern identifizieren dürfen; doch kann der edle Ernst, der wenigstens im Gemälde
ihre Züge auszeichnet, sowie der Umstand, daß der die Rechte Christi lösende Greis in dem Kostüm eines wohl-
habenden Bürgers auftritt, die jedenfalls die Verständigung erleichternde Benennung einigermaßen rechtfertigen.

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