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Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0066

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daß die Stillung und Vertiefung des psychischen
Ausdrucks sowie die Harmonisierung der Farben-
gebung mit durch den Einfluß anderer Augsburger
Maler, etwa des Meisters der Ulrichslegende oder
des Meisters der Augsburger Heimsuchung bedingt
ist. Möglicherweise sah der Kreuxigungsmeister
noch die ersten Werke Hans Holhein d. Ä., der ja
ganz im Sinne dieser beiden älteren Augsburger
Maler die heimische Malkunst fort- und empor-
führte. Die eigentümliche Form der strahlenför-
migen Nimben kehrt auf den Tafeln der Donau-
eschinger Passion Holheins wieder.
Die ausgeprägte Physiognomie des Meisters von
1477 erleichtert es, eine stattliche Gruppe von Hand-
zeichnungen, die noch nicht ihrer künstlerischen
Heimat zurückgegeben sind, dem Meister zuzuwei-
sen. Wie so viele Federzeichnungen der zweiten
Jahrhunderthälfte, denen eine verschärfte, knitte-
rig-spitze Formgebung und jähe, zackige, verquere
Bewegungsmotive eigen sind, wurden auch sie in
das große Sammelbecken ,,Wo!gemut-Schule" ge-
tan/) Den acht bereits zur Gruppe vereinten Zeich-
nungen — vier hochrechteckige und vier runde —
ist ein neuntes Blatt, eine Gehurt Christi, in Münch-
ner Privatbesitz anzuschließen, das nach Format
und Stil zu der Folge der rechteckigen Blätter ge-
hört haben dürfte. Vier von den Zeichnungen (Ab-
salons Tod, Ölberg, Ecce homo, Aristoteles und
Phyllis) sind im Berliner Kabinett, vier (Austrei-
bung der Wechsler, Christus vor Pilatus, Aufer-
stehung, Himmelfahrt) wurden 1912 mit der Samm-
lung F. Becker (Leipzig) hei Boerner versteigert.
Die stilistisch homogenen, allem Anschein nach an-
nähernd gleichzeitig entstandenen Blätter sind mit
dünner, etwas zittriger brauner Feder rasch und
lebendig, ohne viel Sorgfalt und Feinheit herunter-
gezeichnet und lichtbraun bxw. grauhräunlich la-
viert. Aus dem runden Format von vier Zeichnungen
wurde wohl mitRecht geschlossen,daß sie alsRisse
') Vgl. F. Becker, Eine Folge großer Scheibenrisse aus (1er Nähe Woi-
genmts, Zeitschrift für alte und neue Glasmaierei 1912, S. 95. Lipp-
mann, Handzeichnungen Nr. 139. Friedtänder-Bock Nr. 1028, 1029, 1054,
5565. Versteigerungskataiog Boerner CX (28. 11. 1912), Nr. 256—259.

für Verglasungen dienten. Dagegen dürften die fünf
übrigen Blätter eher als Entwürfe für Altartafeln
anzusehen sein. Auf der tumultuarisch erregten V er-
t r e i b u n g der Wechsle F) (Abb. 36) geht
es ebenso quecksilbrig und lärmend zu, wie auf
den gemalten Passionsszenen des Meisters. Wie
Christus — sein derber Gesichtstypus erinnert an
Köpfe, wie sie später Breu gern verwendete — mit
hochgeschwungener Geißel unter die aufgeschreck
ten Wechsler fährt, wie die überraschten Juden
ängstlich am Boden dahinhasten, — da verrät sich
der Blick für dasMomentane und unmittelbar Spre-
chende von Gebärdung und Bewegtheit. Mit auf-
dringlicher, beinahe grotesk wirkender Gewaltsam-
keit ist auf dem bühnenmäßig geschürzten Blatt
,,C h r i s t u s vor P i 1 a t u s"') (Abb. 37) durch
gespreizt schreitende Vordergrundsfiguren der
Raum aufgelockert. Hart und willkürlich steigt das
summarisch skizzierte Tonnengewölbe an. Mit ge-
flissentlicher Hast spricht die Frau des Pilatus auf
ihren Mann ein, der wie unschlüssig auf seinem
Baldachinthron sitzt. Die durchgehende Bewegt-
heit hat etwas Zuckendes, Tänzerisches, Jähes. Der
unmittelbare stilistische Zusammenhang mit den
Szenen des Passionsaltars und der Stuttgarter Ta-
fel ist hier wie auf allen andern Blättern offenkun-
dig. Die Gleichgültigkeit gegen eine klareRaumdar-
stellung und die Konzentration auf die ,,Aktion"
offenhart sich besonders eindringlich auf dem
.,E c c e h o m o"'') (Abb. 38), das im allgemeinen
Aufbau an die Darstellung Christi von Friedrich
Herlin (1468) im Nördlinger MuseunP) erinnert,
ohne daß ein direkter Zusammenhang anzuneh-
men sein dürfte. Die Einzelform ist sehr kursorisch
behandelt. Auffallend schwächlich ist der dürre
Akt Christi ausgefallen. Die spröden Linien der
') Früher Sammlungen Grahl, Becker; 412X283 mm.
-) Früher Sammlung Becker; 415X285 mm.
-') Berlin, Kupferstichkabinett: 409X208 mm.

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