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Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0153

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ERNST BÜCHNER. ZUM WERK HANS HOLBEINS DES ÄLTEREN

Der noch nicht allzulange verklungene Streit, ob
Hans Holbein, der Vater, oder Hans Holbein, der
Sohn, die schönen, stillen Frauengestalten auf den
Flügelinnenseiten des Sebastiansaltars gemalt
habe, ist kennzeichnend für die Antagonie einer im
Äußerlichen und in allgemeinen Werturteilen be-
fangenen, nicht zur persönlichen Wurzel des
Kunstwerks vordringenden Formauffassung und
einer vertieften, augensinnlichen, den individuellen
Charakter der Formensprache erfassenden Be-
trachtungsweise. Nicht ob gotisches Rankenwerk
oder Renaissancedekor, ob überkommene oder
neuartige Kunstmittel verwendet sind, ist das letzt-
lich Entscheidende, sondern der innere Formsinn,
der Aufbau und Zierglieder beherrscht und durch-
dringt, — die besondere Spannung, Rhythmik, dy-
namische Akzentsetzung, mit der die Formelemente
verteilt, gewogen, gewertet sind. Und da liegt die
innere Gegensätzlichkeit der ruhevollen, gestillten,
herbstlich milden Alterswerke des Vaters und der
rascher pulsenden, gespannteren, frühlingshaft
drängenden Jugendarbeiten des großen Sohnes
offen zutage.
Man hat oft dem im spätgotischen Brauch großge-
wordenen älteren Holbein den Schritt ins Land
reiner, beruhigter Schönheit und seelenvoller Har-
monie nicht zugetraut. Aber für ihn war es — so
paradox das zunächst klingen mag — im Grund
kein Schritt in fremde Bezirke. Sein wohltempe-
riertes, vermittelndes, aufs Sanfte und Weiche,
nicht Weichliche gestimmtes Wesen glich sich süd-
liche Formelemente oft mit einer naiven Selbst-
verständlichkeit und künstlerischen Standfestig-
keit an, weil zwischen einem entscheidenden
Grundzug seines Wesens und italienischer Kunst-

empfindung trotz aller sonstigen Unterschiede eine
innere Verwandtschaft bestand. Das Gemeinsame
liegt nicht im Bildbau und Raumsinn als vielmehr
in der Grundstimmung, in dem innerhalb der deut-
schen Spätgotik seltenen Gefühl für Harmonie,
Maß und ruhende Schönheit. Gewiß fehlen im
Spätwerk des älteren Hans Holbein nicht unreine
Lösungen, bei denen die Naht zwischen Eigenem
und Fremdem sichtbar wird. Aber auf den Flügeln
des Sebastianaltars und der Böhlerschen Marien-
tafel ist der Einklang da — und er ist von sel-
tenem Wohllaut und einer beglückenden seelischen
Wärme.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß ein von der
Forschung noch nicht beachteter Altarentwurf
Hans Holbeins d. Ä. (Abli. 101) in einem unmittel-
baren historischen Zusammenhang mit einem voll
erblühten Werk deutscher Hochrenaissance, dem
etwa 45 Jahre später gemalten Domaltar Christoph
Ambergers (Abb. 102), steht. Das sorgfältig mit
schwärzlicher Feder gezeichnete Blatt (Größe: 235
X189 mm) lag unter dem alten Sammelnamen
J. Meckenem in der von Kabrun zusammenge-
brachten und gestifteten Handzeichnungsammlung
des Danziger Stadtmuseums/) Ein Vergleich mit
gesicherten Blättern des älteren Holbein — ich
verweise auf die liebenswürdige ,,Geburt Mariä"
(Abb. 103) im Berliner Kupferstichkabinett (Fried-
länder-Bock Nr. 2067) — bestätigt die Zuschrei-
bung. Gewisse Eigenheiten der Gesichtsbildung
und Faltenstilisierung wie die künstlerische Grund-
stimmung und Ausdrucksweise lassen keinen an-
deren Schluß zu — und zwar handelt es sich
i) Für die Besorgung einer Photographie bin ich Herrn Museumsdirek-
tor Dr. Waiter Mannowsky sehr zu Dank verpflichtet.

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