Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0249

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
OTTO BENESGH. DER XWETTLER ALTAR UND )))E ANFANGE
JORG RREUS.

Durch Ernst Büchners glückliche Bestimmung des
Zyklus in der Melker Prälatenkapelle auf Jörg
Breu d. Ä. wird mehr Licht in die Anfänge der
Kunst des Meisters gebracht. Der Herzogenburger
Altar stand als vereinzeltes Denkmal seiner in
Österreich sich abspielenden Frühentwicklung in
rätselhafter Großartigkeit da, ohne daß es, trotz
verdienstvoller Versuche/) möglich gewesen wäre,
die künstlerische Verankerung dieser Schöpfung
in restlos überzeugender Weise nachzuweisen. In
dem Augenblick, wo es sich um eine Gruppe zeit-
lich unmittelbar benachbarter Werke handelt, ist
die Aussicht auf Lösung des Problems größer. So
glaube ich, auf Grund stilistischer Übereinstim-
mung diesen beiden nun bekannten Altarwerken
als vermutlich ältestes ein drittes anschließen zu
können, das im Verein mit ihnen die Frage nach
der Herkunft von Jörg Breus frühem Stil zu klä-
ren geeignet ist.
Das Altarwerk steht heute im linken Querarm der
Zwettler Stiftskirche und zeigt noch das ursprüng-
liche Bild der Vereinigung von Schnitzwerk und
gemalten Tafeln (Abb. 170). Den Schrein schließen
die beiderseitig bemalten Flügel; in ihren acht Fel-
dern (70X73 cm) ist die Legende des hl. Bernhard
erzählt. Auf den Innenseiten wird die Illusion der
räumlich-plastischen Vertiefung durch rahmendes
Stabwerk und überdachendes Astgeschlinge, das
aus dem Schrein herüberklettert, gewahrt. Das Le-
ben des Heiligen wird in der epischen Breite des
spätmittelalterlichen Legendentons ausgesponnen.
') Das Aufschlußreichste, was über den Altar gesagt wurde, ist der
Passus in Dörnhöffers Abhandlung über die Münchener Scheibenrisse
(Jahrb. d. kh. Smlgen. d. Ah. Kaiserhauses XVIII).

Auf den Außenflügeln beginnt es mit dem Abschied
der Geschwister von den Eltern. Bruder und Schwe-
ster langen im Kloster an, werden von Mönchen
und Nonnen empfangen. St. Bernhard bittet Gott
um Lösung von seinem ritterlichen Gelöbnis, da-
mit er seinen geistlichen Brüdern bei der Ernte
helfen könne. Es folgen die Wunder des Heiligen:
er heilt einen gichtbrüchigen und einen blinden
Knaben. Innenseite: Er treibt den zurückgekehr-
ten Teufel zum zweiten Male aus der besessenen
Frau. St. Bernhard als Patron der Tiere. Tod und
Bestattung").
Trotz des breit erzählenden Ausspinnens der Le-
gende ist jede einzelne Darstellung von leiden-
schaftlichem Ernst und innerer Spannkraft. Der
Ton des Erzählers sinkt nirgends zum lyrisch be-
haglichen Plaudern herab. Zupackende Wucht;
ausdrucksvolle Steigerung zum mächtigen Pathos
dramatischer Eruption, wo es der Inhalt verlangt.
Wir brauchen uns nur den stillen, sachlichen Le-
gendenton der Schwaben der Neunzigerjahre,
wenn sie eine schlichte Szene aus dem Alltagsleben
schildern — wie den Abschied der Geschwister
hier — zu vergegenwärtigen, um die brausende
Leidenschaft und gärende Unruhe, die jetzt die
einfachste Darstellung erfüllt, zu ermessen. Die
Konturen rollen, holen frei aus, die Formen wogen
in barocken Wölbungen, verkrampfen sich zu
knorrigen Buckeln. Die seelische Spannung durch-
libert jedes Glied, dreht die Körper, windet sie,
biegt sie zu auffälligen Verkürzungen. Und doch
2) Nur die Schilderung der Geschwister, die Teufeiaustreibung und den
Tod bringt das ,,Passionai". Die inhaitiiche Queiie der übrigen Dar-
steiiungen iieß sich nicht ermitteln.

229
 
Annotationen