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Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0120

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land. Ich habe seinerzeit vermutet, das „kontrafe-
tische" Gesicht des bartlosen Mannes, der auf der
Florentiner Teilkopie mit den acht Männerköpien
des Louvre-Bildes (Ahb. 76) auf der rechten Seite
hinzugefügt ist, stamme aus dem verschollenen
FlügeT). Das ist wirklich der Fall. In dem Artikel
„Gumpold Giltlinger" des 1921 erschienenen XVI.
Bandes des Thieme-Beckersclien Künstlerlexikons
hat Grete Ring auf eine ,,Gehurt Christi" (Abb. 74)
im Besitze des Königs von England aufmerksam
gemacht, auf der jener Mann als Joseph darge-
stellt ist. Auch stilistisch weist das zuerst Burgk-
mair, dann Giltlinger zugeschriebene Bild, wie
ebenfalls bereits Ring bemerkt hat, auf den Mei-
ster des Louvre-Flügels.
Dieses Bild in Windsor-Castle^) ist zweifellos mit
dem bisher verschollenen Flügel des Altars der
Augsburger Heilig Kreuz-Kirche identisch^). Die
Maße (106 cm X 66 cm) stimmen zwar nicht mit
den Maßen des Pariser Flügels (125 cm X 71 cm)
überein. Aber es ist ohne weiteres ersichtlich, daß
die Tafel beschnitten worden ist. Offenbar geschah
das in der Ottingen-Wallerstein-Sammlung, um
das Bild in einen Rahmen aus einer vorhandenen
Serie einpassen zu können.
Die Rückseite zeigt ein Grisaillebild des frühen 17.
0 Feuchtmayr a. a. 0-, p. 37, A. 34.
-) Nicht in den Privatgemächern des Buckingham-Paiastes, wie G.
noch der Inventarzettei dieser Sammiung. Wie das Biid in den Besitz
des Fürsten Ottingen-Waiierstein gelangt ist, darüber läßt sich eine
Vermutung aussprechen: Es kann mit dem jetzt im Louvre beünd-
iichen Fiügei unter Napoieon I. nach Paris gekommen und von dort
durch den Generai Graf Jos. von Rechberg 1815 nach Maihingen ver-
handelt worden sein. Rechberg schrieb 1815 aus Paris an den Fürsten,
,,er habe inzwischen verschiedene Sammlungen angesehen, so die des
Kardinals Fesch und der Generaie Souit und Sebastiani. Eine Kiste
mit 7 (9) Italienern und eine soiche mit 12 (15) altdeutschen Bildern
schicke er nächster Tage ab. Es seien viele Bilder auf Kredit zu be-
kommen, da sehr viei gestohlenes Gut dabei sei" (vgl. G. Grupp, Fürst
Ludwig von Ottingen-Waiierstein ais Museumsgründer; Jahrb. des
Histor. Vereins für Nördlingen und Umgebung, Bd. VI, 1917). — Für
diesen Hinweis bin ich Herrn Dr. Zöpfi, dem Leiter der Maihinger
Bibliothek, zu Dank verpachtet.

Jahrhunderts; dargestellt ist eine kniende Maria,
die zu einer „Verkündigung" gehört. Es handelt
sich also bestimmt um einen Altarflügel. Oh sich
auf der Rückseite des Louvre-Bildes als Gegen-
stück dazu der Verkündigungs-Engel befunden
hat, ist jetzt, da die Rückseite parkettiert isP),
nicht mehr festzustellen. Da jedoch die Maria der
Rückseite des Geburtshildes genau nach der Maria
der Verkündigungsdarstellung Peter Candids an
einem Altar der Münchner Michaelskirche kopiert
ist und da dies nur in München geschehen sein
kann, ist für die Identität des Windsor-Castle-Bil-
des mit der von 1609 bis 1632 nachweislich in der
Münchner Kunstkammer bewahrtenAptschen,,Ge-
burt Christi" eine Bestätigung gegeben^).
Der Erhaltungszustand der „Geburt Christi" ist
wie bei so vielen Gemälden aus der Ottingen-Wal-
lerstein-Sammlung nicht der beste. Die Tafel ist
geputzt und unter dem gefühllosen Pinsel des Re-
staurators ist manches flau geworden. Besonders
peinlich berühren bei den Köpfen die harten und
geglätteten Konturen der Haarmassen.
Die Kompositionen der beiden Flügel sind von einer
repräsentativen, etwas starren Feierlichkeit. In
dumpfer Schwere drängen sich die Dinge auf den
Tafeln zusammen. Breit und wuchtig stehen, knien
und sitzen die Gestalten. Ihre Gebärden sind phleg-
matisch und befangen. Der Stil entspricht im all-
gemeinen den gleichzeitig entstandenen Werken
des älteren Holbein, etwa den schweren und vollen
Tafeln des Katharinen-Altars von 1512, nur daß
bei Apt der Raum noch wesentlich befangener ge-
staltet ist. Das altertümliche Mittel, den vorderen
Figuren eine Mauer als Folie zu gehen, um so den
Riß zwischen Vorder- und Hintergrund zu ver-
hehlen, wurde auf beiden Bildern angewandt.
Ein erfindungsreicher Gestalter war der ältere Apt
nicht; die im Hintergrund des Geburtsbildes sicht-
baren Figürchen der Hirten hat er getreu aus
P Freundliche Mitteilung Campbeii Dodgsons.
S) Uber das Candidsche Biid vgi. Ludwig Zottmann, Uber die Gemälde
in der St. Michaeishofkirche; Münchner Jahrb. d. b. Kunst, 1910, p. 83.

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