Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Buchner, Ernst [Editor]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0279

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
monumentalen Bewegung seiner Erfindungen der
letzte Ausläufer mittelalterlicher Großartigkeit ist:
an den Meister von Flemalle. Ihre Hauptvertreter
sind der Meister der von Kieslinger bei den Re-
demptoristen entdeckten Tafeln und der alte Frue-
auf. Der monumentale Bewegungsschwung des
Wiener Altars von 1490/1 feitet sich deutlich genug
von mittelalterlicher Großartigkeit jenseits des
neuen niederländischen Naturalismus ah. Durch
die örtliche Nachbarschaft der salzburgischenVer-
treter der Strömung ist schon eine gewisse Rich-
tungsgleichheit des Wollens mit den Bayern zu
erklären.
Die zweite Strömung, die eigentlich ,,moderne" im
Sinne der Allgemeinbewegung der deutschen Ma-
lerei in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, die
den neuen niederländischen Stil verarbeitet, geht
vornehmlich von Pleydenwurff und Wolgemut
aus*). Ihr Hauptwerk sind die beiden Zyklen des
Schottenklosters, in denen wir zwei Hände unter-
scheiden können: den älteren Meister der Passion,
der 1469 datiert, und den jüngeren Meister des
Marienlebens. Der ältere ist der bedeutendere,
sicher ein Niederlandfahrer (das sagt sein Koloris-
mus), der aber doch das österreichische Erbe der
aus dem Geist der Landschaft geborenen monu-
mentalen Historie zu wahren weiß. Der trotz aller
Vedutenmalerei rationalistische Naturalismus des
jüngeren steht der mittelalterlichen Idealität der
ersten Strömung gegenüber. Künstler wie der Mar-
tyrienmeister und der Meister der Schuchwitztafel
bilden seinen Stil weiter. Die schließliche Umfor-
mung, die der Rationalismus in den Martyrien zu
phantastischer, unnaturalistischer Bewegtheit er-
fährt, ist ein Zeichen dafür, daß der doktrinäre Na-
turalismus in Österreich nie recht beheimatet war,
sondern nur der intuitive des Zusammenfühlens
mit Landschaft und Boden, der mit mittelalter
licher, überwirklicher Größe wohl zu vereinigen
ist. Die innere Bewegung, das seelische Erleben,

das, was man unter dem Begriff des ,,Inhaltlichen"
zusammenfaßt, stand der österreichischen Kunst
immer näher als rationalistische Naturzergliede-
rung. Gerade weil sie in ihrer mittelalterlichen In-
nerlichkeit mehr ,,zusammenschaut" als aufteilt,
war ihr die Schaffung eines großen landschaft-
lichen Naturalismus im weitesten Sinne — der
natürlich nicht nur Konterfei bestimmter Natur-
ausschnitte einer bestimmten Gegend, sondern tief-
stes Naturerlehen aus seelischen Gründen heraus,
also eine Art ,,spirituellen Naturalismus" bedeutet
— möglich. Die österreichische Malerei ist darin
der holländischen vergleichbar"), in der auch mit-
telalterliche Idealität, Wucht und Großartigkeit in
ständiger Filiation sich weiterpflanzten, zusammen
mit einem verinnerlichten Natur- und Landschafts-
erlehen, das den programmatischen Naturalismus
der Vlamen weit überstieg. Darin liegt kein Wider-
spruch, sondern beides sind Erscheinungsformen
eines polaren seelischen Erlebnisses.
Die dritte Strömung schließlich geht vom ureigen-
sten Gewächs dieses österreichischen ,,Naturalis-
mus" aus und beherrscht die Alpenländer: von
Michael Pacher.
Der Geist des Landschaftlichen ist in allen dreien
lebendig und führt zu Naturschilderungen, denen
sich nichts in der gleichzeitigen deutschen Malerei
zur Seite stellen läßt.
Schon der Martyrienmeister war uns ein Symptom
dafür, daß die Ströme gegen Ende des Jahrhun-
derts znr Vereinigung streben und die Schaffung
einer neuen Kunst anbahnen, in der das mittel
alterlich Große zu heroischem Pathos sich stei-
gern, das Naturerlebnis zu einer neuen, alle ein-
stigen Schranken sprengenden Freiheit führen
sollte. Das Frühwerk des jungen Frueauf ist eine
erste Schöpfung dieser neuen Kunst, der Kloster-
neuhurger Altar ein reifes Resultat. Auch dieses
reife Resultat verleugnet in nichts seine Herkunft.
-) Die Vergleichbarkeit steigert sich manchmal zu wirklicher Ähnlich-
keit, die schon zu Verwechsiungen geführt hat.

259
 
Annotationen