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Buchner, Ernst [Hrsg.]
Augsburger Kunst der Spätgotik und Renaissance — Augsburg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.28869#0491

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ciien Grundrißsystem mit annähernd quadratischen
Gewölbefeldern vollzieht. Die erste Bettelordens-
kirche in Westfalen erscheint vielmehr als Fremd-
körper, der von der allgemeinen Bautätigkeit
wenigstens lange Zeit unbeachtet liegen blieb. Erst
nach dem Erreichen einer ungehemmten Raum
einheit, deren Richtungslosigkeit keine Haupt-
achse hervortreten läßt, versucht Westfalen durch
Streckung des Grundrisses (Beckum, Werl) oder
durch Verminderung der Seitenschi ll'hreite (Soest,
Minoritenkirche; Münster, Martinikirche, nicht,
wie Krautheimer annimmt, mit schmalen Jochen)
die Blickhahn von Westen nach Osten als beherr-
schende Richtung herauszuarbeiten. Aber das breite
Joch vermag die Seitenschiffe nicht genügend zu
differenzieren gegen das Hauptmotiv des Mittel-
schilfes; Westfalen muhte sich jetzt zum schmalen
Joch entschließen, das in den hessischen Hallen-
kirchen von Anfang an zu Grunde gelegt worden
war. Die Bedeutung der Bettelorden in diesem
Augenblick als Verbindungsglied wird durch die
peinlich genauen Untersuchungen von Wilhelm-
Kästner (die Elisahethkirche zu Marburg und ihre
künstlerische Nachfolge) eingeschränkt, die den
hessischen Einfluß in Westfalen seit den sechziger
Jahren des 13. Jahrhunderts festlegen. Außerdem
hatten die Bettelorden in Westfalen gerade zu Be-
ginn des zweiten Drittels des 14. Jahrhunderts das
schmale Joch zugunsten des breiten Joches mit
quadratischem Mittelschiffeld auf gegeben: Soest,
Minoritenkirche (Krautheimer S. 92). Deshalb ist
eine Einwirkung der Bettelordenskirchen um 1350
auf die westfälische Bautätigkeit (Münster, Über
wasserkirche) kaum glaubhaft, wenn nicht für die
sehr geschlossene Entwicklung Westfalens ge-
sichertes vorbildliches Material der Bettelordens-
architektur aufgewiesen werden kann.
Zusammenfassend ließe sich sagen: Die Bettel-
orden gliedern sich mit ihren Kirchenbauten in die
Kette der allgemeinen architektonischen Entwick-
lung ein, ohne in augenfälliger Weise den Fluß des

Bauschall'ens in seiner Strömung beeinflußt zu
haben. Wenn die Bettelordenskirchen — abgesehen
von den ersten Schöpfungen, die sich in der Regel
eng an die Baugewohnheiten des Entstehungs-
ortes anschließen — von einer besonderen Eigen-
art erscheinen, so wird dieser Eindruck durch das
gleichzeitige Vorkommen zeitbedingter Formen
und altertümlich wirkender Bildungen erweckt,
die durch den Wunsch nach Einfachheit hervor-
gerufen wurden. Daß die Bettelorden sich nicht
vollkommen mit ihren Kirchenbauten in den Zug
der Spätgotik einfügen konnten, verdanken sie dem
Erbteil einer weiter zurückliegenden Entwicklung,
durch das sie an die Basilika mit hohen, geschlos-
senen Obermauern gebunden waren. Ihre Be-
mühungen, diese großen Wandflächen mit dem
vereinfachten Formenapparat der Gotik zn beherr-
schen, hat mit den Bestrebungen der tatsächlichen
Spätgotik nur wenig Gemeinsames, da den Bettel-
orden die für die Spätgotik grundlegende räumliche
Gestaltungskraft fehlt. So vermochten sie sich kaum
oder nur schwer und zäh von dem alten Raumtyp
der Basilika zu trennen, wodurch sie an dem Schritt
zur spätgotischen Entwicklung gehindert waren,
den die Bautätigkeit des deutschen Bürgertums
gerade damals mit dem Aufnehmen des Hallen
raumes vollzog. ,,Die Bettelorden haben die Halle
ganz und gar nicht bevorzugt . . Man wird im Ge-
genteil das Gefühl nicht los, daß sie ihnen unge-
wohnt und unbequem war, daß sie nicht recht
wußten, was mit ihr anzufangen sei." Diese Tat-
sache läßt es unmöglich erscheinen, die Bettel
orden als Bahnbrecher der allgemeinen Entwick-
lung zur Spätgotik einzuschätzen, da auch die Be-
hauptung Krautheimers, daß die Bettelorden,,doch
in allen anderen Punkten weitüberihreZeithinaus-
gegangen waren, auf die Spätgotik zu", nach seinen
Darlegungen nicht als bewiesen hingenommen wer-
den kann.
Mit dieser Einschränkung der Bedeutung der Bet-
telordenskirchen verliert die Arbeit Krautheimers

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