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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0231

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Wissenschaft und Dichtung.

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Wissenschaft und Dichtung in der Periode des
romanischen Stils.
In Italien, Frankreich, Spanien entwickelten sich aus dem
Lateinischen allmählich die volksthümlichen Mundarten zu den neuern
Sprachen, in Deutschland lief das Lateinische neben dem Deutschen
her, ward aber während einiger Jahrhunderte das Organ der Bil-
dung; in England verschmolzen beide Elemente. Wie in der Urzeit
Kunst und Wissenschaft unentwickelt und ungesondert in der Wiege
der Religion lagen und im Mythus ihren Ausdruck fanden, so war
auch jetzt die Theilung der geistigen Arbeit noch nicht vorhanden.
Die Kirche war Culturträgerin, und die Geistlichen walteten nicht
blos der Seelsorge oder lasen Messe, sie schrieben auch in der
Reichskanzlei, sie saßen mit den Fürsten als ihre Genossen zu Rath,
und übten und pflegten die Kunst am Hof wie im Kloster. Bischof
Bernward von Hildesheim entwarf und leitete Bauten, goß in Erz,
predigte das Evangelium und ward Kanzler des Reichs, Lehrer des
Kaisers. Benno von Osnabrück zog mit zu Felde gegen die Ungarn,
legte Wasserbauten am Rhein an, und hatte Künstler in seinem
Gefolge, wenn er den Kaiser ans Reisen begleitete. Es ist selbst-
verständlich daß wenn auch in den Klöstern alle in allem Unter-
richt erhielten, die Naturanlage doch in einzelnen Zweigen zur Aus-
zeichnung führte, und daß die Kräfte dann demgemäß verwandt
wurden, und so kam man allmählich zur Scheidung der geistigen
Arbeitsfelder.
Wie die Kirche ihre äußere Macht anfrichtete, strebte sie auch
ihre Lehre fest zu begründen. Wir nennen hier aus dem 11. Jahr-
hundert den Lombarden Anselm, der in Canterbnrh Erzbischof ward
und ebenso eifrig für die Hierarchie kämpfte, als er nach einem
vollständigen System der Kirchenlehre hinarbeitete. Der Glaube
soll der Erkenntniß vorangehen, erscio rU intelliZnin; wir müssen
erst durch die Sinne oder innerlich erfahren was wir begreifen
sollen. Es wäre Geistesträgheit, wollte man nicht auch verstehen
lernen was das Herz gläubig erfaßt; aber kein Christ soll dispu-
tiren auf welche Weise das nicht sei was die Kirche bekennt, und
wenn er es auch nicht begreift, soll er nicht die Hörner zum Stoßen
erheben, sondern das Haupt zur Anbetung neigen. So formulirte
Anselm die Ausgabe der Scholastik. Gott ist ihm das allgemeine
 
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