Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0369

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Poetische Erzählungen; Legenden und Schwänke. 355
verzehrt den Hasen, sendet mit dessen Kops als angeblichem Kleinode
den Widder zurück, und lacht in seiner Feste all seiner Feinde. —
Hier hat nun eine Fortsetzung von anderer Hand einen zweiten
Theil angefügt. Neue Anklagen gegen den Fuchs, der abermals
zu seiner Bertheidigung erscheint, und unter anderm die Beute-
theilnng und die Heilung des kranken Löwen als Verdienste seines
Vaters nm des Königs Vater darstellte. In Wechselrede mit
dem Wolf erfahren wir die besten Streiche die sie einander ge-
spielt, und endlich soll ein Zweikampf beider wie ein Gottesurtheil
entscheiden. Die List des Fuchses siegt, und triumphirend kehrt
er heim.
Grimm ist unbillig gegen diese Fortsetzung; sie fügt sich dem
Tone des ursprünglichen Werks an, sie ergänzt dasselbe durch
viele der wichtigsten und glücklichsten Geschichten; wenn sie auch
einmal in einer Beschreibung von Kleinodien fremde Fabeln heran-
zieht, so stehen dieselben dadurch bezeichnend genug neben den
heimischen Begebenheiten, und im Zweikampf wird ein echtepischer
Abschluß gewonnen. Darum lebt auch das Werk als Ein Ganzes
fort, erneut durch den plattdeutschen Reinecke Vos des Nikolaus
Baumann zu Lübeck im Jahre 1498, durch Goethe und durch
Kaulbach's geniale Zeichnungen, die gleich dem Gedicht die Treue
für die thierische Natur mit menschlichem Ausdruck und porträt-
artiger Jndividualisirung verschmelzen.

Poetische Erzählungen; Legenden und Schwänke.
Während große Stoffe durch große Dichter zum Epos wur-
den, vergnügte sich die poetische Lust des Erzählens und Hörens
an kleinern Darstellungen aller Art. Geistliche und andere fromme
Pilger, die nach dem Gelobten Lande wallfahrten, trugen die Le-
genden die sie wußten oder nun erfuhren von Ort zu Ort, und
weltliche Krieger tauschten die beliebtesten Geschichten des Abend-
landes gegen die des Morgenlandes, welche bereits bei den Ara-
bern auch aus Indien und Persien zugeströmt waren. Ich habe
bereits I, 518 fg. ein Bild von den Wanderungen und Schick-
salen solcher Dichtungen entworfen und gezeigt wie dieselben
23*
 
Annotationen