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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0017

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Die neuern Völker. Slawen.

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Das Slawenthum.
Es scheint daß zuerst die Kelten aus der arischen Urheimat
aufbrachen, während später eine zweite Bolkswelle sich loslöste und
in Europa zu Griechen und Jtaliern ward, eine dritte sich in
Slawen und Germanen schied; dann ward der Rest, der in Asien
blieb, zu Indiern und Jraniern. Nach manchen Wanderzügen ge-
wannen die Kelten den Nordwesten Europas, England und Frank-
reich; im Osten siedelten die Slawen sich an; zwischen beiden
nahmen in Skandinavien und Deutschland die Germanen ihre
Wohnsitze, drangen aber auch erobernd in keltische und slawische
Gebiete ein und verschmolzen mit den Bewohnern. Auf der großen
Ebene vom Weißen bis znm Schwarzen und Kaspischen Meere,
von Sibirien bis zur Oder und Adria breiteten die Slawen sich
aus; in dieser weiten Strecke zerfielen sie in mannichfache Stämme;
zwischen Europa und Asien gelagert bildeten sie auch geistig ein
Mittelglied zwischen beiden, zwischen Kaukasiern und Mongolen,
bisjetzt die mehr passiven unter den activen Nationen. Die In-
dividualität tritt noch nicht recht hervor; die Slawen wissen bis
ans diesen Tag weniger von berühmten Männern zu singen und
zu sagen als die andern Culturvölker; der kühne vordringende Geist
welcher die Germanen, die bewegliche Nenernngslust welche die
Kelten bald zu Erobernngszügen und bald zu Revolutionen treibt,
sind ihnen fremd; sie greifen znm Schwert um die Heimat zu ver-
teidigen, nicht aber um vom Waffendienst zu leben. Während
die Germanen das weströmische Reich zertrümmern, schieben sich
die Slawen langsam in das oströmische ein, bis nach Hellas hinab
geben sie Flüssen und Bergen neue Namen, aber der Kaiserthron
in Byzanz bleibt bestehen.
Auf der Ungeheuern Fläche die sie innehaben kann man lange
wandern bis der Wechsel des Klimas und des Pflanzenwuchses so
bedeutend wird wie er bei einer einzigen Tagfahrt in deutschen
Bergen sich zeigt; doch hat man einen nördlichen Streifen mit
einer Kette von Seen als die Zone der weißschaftigen Birke be-
zeichnet, während von den Ufern der Oder bis znm Ural düstere
Fichtenwälder sich hinziehen zwischen sandigen und feuchten Fluren,
und südlich auf den Grastriften an dem Don, der Donau uud
Wolga die Eiche rauscht. Friedlicher Sinn und Liebe zur Seß-
haftigkeit ließ die Slawen diese weite fruchtbare Ebene wählen;
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