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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0383

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Die Anfänge des Dramas.

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Kreuz- und Quersprüngen unablässig vom Hundertsten ins Tau-
sendste führt. Doch hat es verdient für lange Zeit ein viel-
gelesenes Werk zu sein, weil es dem thätigen wie dem beschau-
lichen Leben in gleicher Weise gerecht wird.

Die Anfänge des Dramas.
Wenn man erwägt wie dramatische Darstellungen stets bei
allen Völkern sich finden, während die Blüte der dramatischen
Poesie allerdings nur Höhepunkte weltgeschichtlicher Entwickelung
schmückt, so ergibt sich die Forschung als müßig die da bestim-
men möchte welches die ersten mittelalterlichen Werke auf diesem
Gebiete gewesen seien. Vielmehr kann man bemerken daß die
Lust an Schauspielen, welche die Römer in die eroberten Pro-
vinzen trugen, dort sich erhielt und daß eine ununterbrochene Kette
von ihren Mimen und Possenreißern zu den französischen Jong-
leurs und der italienischen Stegreiskomödie hinüberleitet. Wir
haben also auch hier ein Element antiker Ueberlieferung. Ein
zweites deutete ich bereits an in den Auszügen, Wettkämpfen und
Wechselgesängen des germanischen Heidenthums. Das dritte bil-
det die christliche Liturgie; es ist das wichtigste; auch unser Drama
war wie das griechische ursprünglich eine gottesdienstliche Hanv-
lung, eine religiöse Feier, und empfing durch sie die Weihe zu
seiner hohen Bestimmung, der Erhebung des Gemüths über Leid
und Untergang, der Läuterung der Seele durch Schmerz und
Freude. Der Sündenfall und die Erlösung, der Ursprung des
Bösen durch die Abwendung des menschlichen Willens vom gött-
lichen, und die Ueberwindung des Bösen, der Selbstentzweinng
des Geistes, durch die Versöhnuug mit Gott im selbstbewußten
Willen des Guten, Christus als der Held dieser Versöhnung,
seine Geburt und sein todüberwindender Opsertod und Eingang in
die ewige Herrlichkeit, dies große Mysterium der Liebe und Frei-
heit war der Ausgangspunkt und die Grundidee der Misterien
oder Ministerien, gottesdienstlichen Darstellungen, die hier das
große Drama der Menschheit dem Volk zu unmittelbarer An-
schauung brachten. Schuld und Sühne war die Grundlage der
Tragödie mit ihren ernsten Schrecken in der Offenbarung gött-
Carrkre. III. 2. 2. Ausl. 24
 
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