Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0533

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Allegorien. Poetische Erzählungen in Vers und Prosa. 519
freien Land- und Stadtgemeinden gegen das Haus Habsburg ent-
wickelte sich zum Sieg des Bauernthums über die Ritter, des
Bürgerthnms über die feudale Aristokratie; die schlichte Sitte, das
Vaterlandsgefühl freuten sich ihrer Kraft, und sahen ihr Gottver-
trauen durch den glücklichen Ausgang belohnt. Da klang auch der
alte einfache Volkston aufs neue in den Liedern welche die Schlachten
von Frauenbrunuen, Sempach und Näfels feierten, ihren Helden
und Gott zu Ehren; sie gingen von Mund zu Muud, sie wurden
ein Gemeingut und als solches fortgebildet, und hallten in dem
Gesang Veit Weber's nach, der die burgundischen Kriege schon
etwas chronikenhafter schildert. Um die Schweizerberge herum fing
damals schon die Helle der Geschichte zu leuchten an, und die histo-
rische Aufzeichnung der Begebenheiten hinderte das Anwachsen der
Lieder zum Volksepos; aber wie sie und nach ihnen die Sage durch
die Erneuerung alter mythischer Erinnerungen und durch die Aus-
prägung einiger typischen Gestalten und Thaten in Tell, im Rütli-
bund in Winkelried das Factische dichterisch anfgefaßt, so ist es in
das Volksbewußtsein eingegangen, so wirkt es fort in der Geschichte.

Allegorien. Poetische Erzählungen in llers und Prosa.
In der echten Kunst sind Begriff und Anschauung nicht ge-
schieden, die Idee beseelt die Erscheinung und gewinnt Gestalt in
ihr, das Einzelne empfängt die Weihe des Allgemeinen, dessen
Gesetz es selbstkräftig erfüllt. Am Ende des Mittelalters aber
kam ein frisches volksthümliches Naturgefühl den fertigen Be-
griffen der Scholastik entgegen, und wie diese schon gleichsam zu
geistigen Einzelwesen ausgeprägt waren, so suchten die Laien sie
sinnlich vorstellbar zu machen. Man liebte Fabeln, Gleichnisse,
Beispiele in der Rede, man liebte Personificationen mit sorgsam
gewählten Attributen in der Malerei, und hier wie dort begegnet
uns eine Freude am Allegorischen, das in seiner Lehrhaftigkeit
mehr zum Verstand als zum Gemüthe spricht, und so lange ein
Zwitterwesen bleibt bis das geistige Innere eine unmittelbar
sprechende und ansprechende Gestalt in der personificirenden Ideal-
 
Annotationen