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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0469

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Verfall der kirchl. rc., Aufschwung der bürgcrl. Cultur. 455
es kommt nicht zu der festen Geschlossenheit, dem gleichen Eben-
maß nnd gleichen Stil wie sie. Der. Prolog des Fanst knüpft an
den Hiob, der Epilog an die göttliche Komödie sich an. Jndeß
hat Goethe nicht in Einem Gedicht sein ganzes Wesen dargelegt
wie Dante, wir müssen seine andern Schöpfungen heranziehen um
sagen zu können daß er weltgeschichtlich doch die Einigung von
Dante nnd Ariosi- vollzogen hat, dieser Pole des ernsten Tiefsinns
und der heitern Anmuth, der erhabenen Strenge und des leichten
Phantasiespiels, die Tasso aber nur in sehr abgedämpfter Weise
verbindet, während die energische Mitte für Italien nicht ans dem
Felde der Poesie, sondern der Malerei durch Rafael erreicht ward.

verfall der kirchlichen und ritterlichen, Aufschwung der
bürgerlichen Lultnr.
Mit den Hohenstaufen war die Herrlichkeit des Kaiserthnms
zu Grabe gegangen und die siegreiche Kirche war verweltlicht; sie
kam durch ihren Anschluß an Frankreich unter die Botmäßigkeit
seiner Könige und die Päpste mußten von 1509 — 77 ihren Sitz
in Avignon aufschlagen, wo ihr Hof an Schwelgerei ersetzte was
er an Macht verlor. Hatte die Kirche sich früher dadurch erhalten
und war sie dadurch emporgekommen daß sie von unten herauf ar-
beitende reformatorische Kräfte für sich wirken ließ, so verfolgte sie
solche jetzt durch die Ketzergerichte mit Bann und Scheiterhaufen.
Sie saugte die Länder aus indem sie für Geld Ablaß ertheilte, für
Geld die Ehehindernisse und andere drückende Bestimmungen wieder
aufhob die sie vorher erst eingesetzt hatte, für Geld die höhern
Stellen und Würden an Unwürdige verkaufte, die sich dann im
Besitz derselben wieder zu bereichern verstanden. Wie früher schon
die Kunst, so kam nun auch die Wissenschaft in die Hände der
Laien; Stadtschulen und Universitäten mehrten sich, wahrend die
Geistlichen stets roher wurden, dem Volk aber die Bibel verboten.
Hunderte von Schwänken und Novellen geben Zeugniß wie das
Volk sich an der Liederlichkeit, der Dummheit oder der gemeinen
Schlauheit der Pfaffen ergötzte, die den Aberglauben für sich aus-
 
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