Die Scholastik.
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feierliches Pathos. Seine Madonnenbilder in Florenz zeigen eine
frische Natnrbeobachtung, und besonders in den Engelsköpfen ein
Streben nach Lieblichkeit auf der Grundlage der einfachsten Ueber-
lieferung. Cimabue's Stile folgt Gaddo Gaddi's Krönung der
Maria, im Dome zu Florenz. Von Duccio ist eine auf zwei
Seiten gemalte Altartafel im Dom zu Siena erhalten. Auf der
einen Maria zwischen Heiligen: großartig, ruhig, doch voll An-
muth im Antlitz und in den weichen Gewandfalten. Die andere
Seite ist das Meisterwerk des Jahrhunderts, eine wohlgegliederte
Scenenreihe aus der Passionsgeschichte, voll Erfindungskraft der
Phantasie, reich an Natnrbeobachtung, die Composition, die Zeich-
nung, der Ausdruck edel und klar; — wir schauen einem Zeit-
genossen Dante's ins Auge.
Die Scholastik.
An der Stelle der freien Forschung, die das Wirkliche zu
begreifen und das Vernünftige zu entwickeln strebt, stand im Mit-
telalter immer noch die Aufgabe fest daß der Geist zunächst die
Ueberliefernng der Kirchenlehre, des römischen Rechts, der grie-
chischen Heilkunde sich aneigne; neben dem Dogma wurden Ari-
stoteles, Hippokrates, die Pandekten zu Autoritäten; man dedu-
cirte aus deu Vordersätzen, die sie enthielten, die Gesetze des
Geistes und der Natur, und arbeitete mit herkömmlichen Be-
griffen, stritt mit Worten statt sich die Sachen selbst mit eigenen
Augen anzusehen. Man erweiterte die Schulregeln für das Ur-
theilen und Schließen mit ebenso zweckloser als haarspaltender
Spitzfindigkeit, ohne zu erwägen daß in das Spinnegewebe des
teeren Formalismus das Leben mit seiner Kraft und Eigenthüm-
lichkeit sich nicht einfangen und fesseln läßt. Wie man auch nach
den bhzantinischen Formeln von llurlluru, eslureul oder ksrmou
Schlüsse machen lehrte, die ungeprüften Vordersätze konnten kein
sicheres, kein die Menschheit förderndes Ergebniß liefern. Rai-
mundus Lullus befestigte sechs concentrische Kreise drehbar über-
einander, sodaß immer einer über den andern hervorragte; er be-
schrieb sie mit den Kategorien des logischen und natürlichen Seins,
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feierliches Pathos. Seine Madonnenbilder in Florenz zeigen eine
frische Natnrbeobachtung, und besonders in den Engelsköpfen ein
Streben nach Lieblichkeit auf der Grundlage der einfachsten Ueber-
lieferung. Cimabue's Stile folgt Gaddo Gaddi's Krönung der
Maria, im Dome zu Florenz. Von Duccio ist eine auf zwei
Seiten gemalte Altartafel im Dom zu Siena erhalten. Auf der
einen Maria zwischen Heiligen: großartig, ruhig, doch voll An-
muth im Antlitz und in den weichen Gewandfalten. Die andere
Seite ist das Meisterwerk des Jahrhunderts, eine wohlgegliederte
Scenenreihe aus der Passionsgeschichte, voll Erfindungskraft der
Phantasie, reich an Natnrbeobachtung, die Composition, die Zeich-
nung, der Ausdruck edel und klar; — wir schauen einem Zeit-
genossen Dante's ins Auge.
Die Scholastik.
An der Stelle der freien Forschung, die das Wirkliche zu
begreifen und das Vernünftige zu entwickeln strebt, stand im Mit-
telalter immer noch die Aufgabe fest daß der Geist zunächst die
Ueberliefernng der Kirchenlehre, des römischen Rechts, der grie-
chischen Heilkunde sich aneigne; neben dem Dogma wurden Ari-
stoteles, Hippokrates, die Pandekten zu Autoritäten; man dedu-
cirte aus deu Vordersätzen, die sie enthielten, die Gesetze des
Geistes und der Natur, und arbeitete mit herkömmlichen Be-
griffen, stritt mit Worten statt sich die Sachen selbst mit eigenen
Augen anzusehen. Man erweiterte die Schulregeln für das Ur-
theilen und Schließen mit ebenso zweckloser als haarspaltender
Spitzfindigkeit, ohne zu erwägen daß in das Spinnegewebe des
teeren Formalismus das Leben mit seiner Kraft und Eigenthüm-
lichkeit sich nicht einfangen und fesseln läßt. Wie man auch nach
den bhzantinischen Formeln von llurlluru, eslureul oder ksrmou
Schlüsse machen lehrte, die ungeprüften Vordersätze konnten kein
sicheres, kein die Menschheit förderndes Ergebniß liefern. Rai-
mundus Lullus befestigte sechs concentrische Kreise drehbar über-
einander, sodaß immer einer über den andern hervorragte; er be-
schrieb sie mit den Kategorien des logischen und natürlichen Seins,