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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0435

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Dante.

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pfindung das Gefühl von ihm oder die in der Seele schlum-
mernde Gottheit wecken, darum ist jede Kenntniß der Dinge ein
Wachsthnm nnsers Wissens von ihm und alle echte Wissenschaft
Gotteserkenntniß.

Dante.
So hat kein anderer Dichter sein ganzes Selbst in Ein
großes Werk ergossen, und zugleich das politische und religiöse
Leben seines Volks, das Empfinden, Glauben und Wissen seines
Jahrhunderts allseitig und großartig darin zusammengepreßt wie
Dante. Während die Auflösung des Mittelalters beginnt, ver-
tieft er sich noch einmal in das Ideal desselben um es in dichte-
rischer Gestaltung als das einzige Heil und Rettungsmittel mah-
nend und begeisternd aufzustellen, er der erste gewaltige Sprecher
des Bürgerthums, des Seelenadels, des freien Geistes, die nun
an die Stelle der feudalen Ritterlichkeit und Kirchlichkeit treten,
der erste Mann welcher in der Schule des Alterthums die Kunst-
vollendung plastischer Formen für den romantischen Inhalt ge-
winnt, indem er dem schwärmerischen Idealismus der Gedanken
und Gefühle einen naturwahren und gesunden Realismus der
Weltauffassung und des Ausdrucks gesellt. Er ist ganz subjectiv,
er legt uns seine Seelengeschichte dar, er selbst mit seinem Zorn
und seiner Liebe ist der Mittelpunkt seines Gedichts, des Epos
vom innern Menschen, in welchem das zum Abschluß kommt was
Wolfram von Eschenbach begonnen, aber seine Darstellungsweise
ist von einer plastischen Bestimmtheit, die das Auge des Jägers,
Malers oder Naturforschers voraussetzt. Seine Bildung ist scho-
lastisch, aber sein Gemüth erfaßt das Ewige und Allgemeingültig'e
des Christenthnms und hält sich an die Liebe, die Freiheit als
Grund und Ziel des Lebens. Rückwärts gewandt ist er doch ein
Prophet der Zukunft, der erste Herold der staatlichen Einheit und
der von weltlicher Herrschaft gelösten Religion für sein Vaterland,
ein geistiger Stammvater Italiens, dem er in einem überwältigen-
den Kunstwerk die gemeinsame volksthümliche Schriftsprache schafft;
Italien das bisher in der Poesie hinter Frankreich und Deutsch-
 
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