Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0479

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nachblüte d. gothischen Stils vornehmlich im Civilbau. 465
Gewerbe wie in der Führung der häuslichen und städtischen An-
gelegenheiten heran; der Volksmuud sang in einfach schlichten Lie-
dern von Leid und Freude des Herzens, und das Gemüth vertiefte
sich in einen Verkehr mit Gott ohne Priestervermitteluug; die Maler
drückten das Seelenleben klar und innig aus, und in einzelnen
Geistern brach bereits in der Erkenntnis; der Antike ein neuer Tag
formeuklarer Schönheit an. Die Schranken der feudalen Standes-
nnterschiede wurden gebrochen, die Ideale des Mittelalters, das
Papstthum und das Kaiserthum, entartet oder kraftlos, wurden von
der Kritik zersetzt, und das elastische Alterthnm ward wiedererweckt
und zum dauernden Element einer humanen Bildung. Wie schon
Dante im Geleit Vergil's durch die Geisterwelt schritt, so ward
Cicero der Lebensgefährte Petrarcä's, und die barbarische Geschmack-
losigkeit der Scholastik wie ihre Unterwerfung unter die Autorität
der Kirchenlehre wich dem Studium Platou's und dem neuerwachen-
den selbständigen Denken.
In einer Uebergangszeit schiebt sich Altes und Neues ineinan-
der. Ich werde deshalb ohne mich durch eine Jahreszahl zu be-
grenzen noch hier anfügen, was entschieden das Gepräge trägt ein
Ausläufer des Mittelalters zu sein; die frische Erfassung aber des
eigenen Lebens und der Natur, wie sie der Volksgesang und die
Malerei der Florentiner seit Masaccio, der Niederländer seit van
Ehck bewährt, wird neben der Wiedererweckung des Griechenthnms
in der Literatur deu Anfang der folgenden Epoche bilden.

Uachblüte des gothischen Stils vornehmlich im Civilbau.
„Die Geschichte zeigt es auf jeder Seite daß die Zeit des
Ahnens und Strebend der Kunst günstiger fei als die des Wissens
und Besitzens. Das noch unbekannte, nnr erstrebte Ideal steht
vor der Seele wie ein mächtiges Geheimniß, unbegrenzt und groß,
verwandt mit den religiösen Geheimnissen und wie sie mit hin-
gebender ehrfurchtsvoller Begeisterung betrachtet; glaubt man das
Wort des Räthsels gefunden zu haben, so schwindet dieser Nimbus,
die Kunst wird eine Aufgabe wie die andern Geschäfte des Tages;
Praxis und Theorie gehen auseinander, und es kann nicht aus-
Carriere. NI. 2. 2. Aufl. 30
 
Annotationen