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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0342

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328

Das Mittelalter.

Wenn ich dann auf wilder Flut im Nachen gleite,
So spähen meine Blicke wol über dreißig Meilen in die Weite,
Ob ich solche Kunde möge finden,
Die des Leids um meinen jungen klaren Freund mich könn' entbinden.
Dann erzählt ein Bruchstück wie Schionatnlander im Wald
einen Bracken fängt, an dessen Halsband und Seil eine Schrift
enthalten war; da Sigune sie lesen wollte, entsprang der Jagd-
hund, und sie knüpft nun den Besitz ihrer Hand daran daß sie
das Seil wieder erhalte.
Diese beiden Fragmente nun hat in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts Albrecht von Scharfsenberg seinem Titurel einver-
leibt, in welchem er von diesem an die ganze Geschichte des Grals
erzählt. Es ist das langweilige manierirte und gezierte Werk
eines Nachahmers, des ultramontanen Geistlichen statt des evan-
gelischen Ritters, des Bnchgelehrten statt des welterfahrenen Den-
kers. Während Wolfram das allgemeine Priesterthnm, die inner-
liche Heiligung feiert, wird hier Werkheiligkeit, geistliches Amt,
päpstliche Gewalt und Oberhoheit gepriesen, und die Vermittelung
der Priester, der Mariencnltus, der Rosenkranz für die Erlösung
gefordert. Als Schionatnlander von Sigune anszieht, da will er
sich durch den Anblick ihrer Schönheit feien, und lächelnd ihren
blanken Leib erblicken, auf blühendem Reise die reinen Aepfel; und
sie löst den Gürtel und läßt den Mantel niedersinken; er küßt
und umhalst sie; — wär' ihm mehr geworden, sein Herz wäre
in reicher Flut geschwommen. Nachdem der Inhalt des Parcival
eingeschoben ist, wird der Gral nach Indien zum Priesterkönig
Johannes gebracht, und hier wird das Papstthum in seinem welt-
lichen Prunk symbolisch verherrlicht; die Macht und Pracht der
siegenden Kirche zu preisen, diese Tendenz ersetzt die Absicht
Wolfram's den innern Bildungsgang eines christlich ritterlichen
Menschen zu schildern.
Auch Wolfram's Hinweisung ans Lohengrin hat gegen Ende
des Jahrhunderts eine Ausführung erhalten, die dem Sängerkrieg
auf der Wartburg als ein Wettgedicht eingeschoben ist und mit
der flandrischen Schwanensage ein Stück deutscher Kaisergeschichte
und eine Sarazenenschlacht verflicht. Ich erwähne diese Werke
weil sie uns wieder einen Beleg über den Gang des Epos geben:
zuerst mmmichfaltige Sagen, dann ein großer Dichter welcher das
ihm Zusagende, ideal Bedeutende heransgreift und künstlerisch ge-
staltet, dann Epigonen die wie die griechischen Kykliker das nur
 
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