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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 3, Mittelalter ; Abt. 2): Das europäische Mittelalter in Dichtung, Kunst und Wissenschaft — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33537#0415

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Plastik und Malerei im 12. und 13.Jahrhundert. 401
einer selbständigen Kunst so energisch und klar Hervorbrechen daß
es scheinen möchte als sei nur noch ein kleiner Schritt zur nahen
Vollendung.
Im 12. Jahrhundert kam es gerade dem mannichfachen
Suchen und Tasten in der Plastik zugute, daß der Portal- und
Fassadeubau der Dome den Bildwerken eine festumgrenzte Stelle
bot, wo sie dem Rhythmus der architektonischen Linien und dem
Gesetze der Symmetrie sich einstigen mußten; und wie in den
Uebergaugsformen der Baukunst so zeigt sich auch hier die eruste
Strenge, die Gediegenheit des romanischen Stils als die Grund-
lage auf der die frischen Triebe sich entwickeln. Eigeuthümlich
ist die Mischung fabelhafter Thier- und Menschengestalten mit
den bekannten christlichen Figuren; das wirre Durcheinander lich-
tet sich allmählich und wir sehen wie die nordischen Mythen, die
nationalen Heldensagen die Gemüther bewegten, und in phan-
tastischer Symbolik an das Heiligthum heraugezogen zu Sinn-
bildern und Parallelen der biblischen Gedanken und Begebenheiten
gemacht wurden. Damit hatte man schon im 1l. Jahrhundert
begonnen, wie das Portal der Kirche zu Großenlindeu bei Gießen
beweist; nun begegnet uns Aehnliches in Regensburg, Freiburg
und Zürich wie in Verona, wo der Name des Meisters Wiligelm
auf den deutschen Einfluß hindeutet, der über die Alpen hiuüber-
drang. Am Westportal des Baptisteriums von Parma sehen wir
die Werke der Barmherzigkeit und den weltrichteuden Heiland;
am Südportal steht ein fruchtreicher Baum, dessen Wurzeln Wölfe
benagen; ein Mensch ist in seine Zweige geflüchtet, ein Drache
speit Feuer gegen ihn; Sonne und Mond jagen auf ihren Ge-
spannen von Rossen und Stieren zur Hülfe heran: der Welt-
untergang ist hier im Anschluß an die Esche Agdrasil, an die
Götterdämmerung der Edda dargestellt. In Basel zog man die
Thiersage, hier und in Genf die antike Mythe heran. In Aqui-
leja gab man den Evangelisten Flügel und den Kopf des Adlers,
Stiers oder Löwen. — Die Gärungen des keltischen Geistes zei-
gen sich in der krausen Bilderfülle französischer Fassaden, in den
barock phantastischen Dämonen von Autun, von Vezeley, wo
grauenhaft Lächerliches mit dem ergreifend Feierlichen im Ein-
drücke sich vermengt. Daun aber geht Frankreich auch hier voran
und gewinnt eine klare Anordnung für die symbolisch historischen
Gedankenkreise, wie an den Kirchen zu Souillac, zu Conques,
und erreicht in Chartres eine Beseelung der regungslos starr und
Carriers. III, 2. 2. Aufl. 26
 
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