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EHEMALS ERSHEIM • PFARR- UND FRIEDHOFSKIRCHE
gonnene und von dessen Sohn Hans (J 1387?) vollendete Neubau ist nur mehr in dem von vier Strebepfeilern begrenz-
ten, innen von einem Kreuzrippengewölbe überspannten östlichen Teil des Langhauses erhalten, dem sog. Vorchor,
den zwei kleine, zweibahnige Fenster erhellen9 und der - als ursprüngliches Sanktuarium? - reich mit Wand- und
Gewölbemalereien aus der Bauzeit, nämlich monumentalen Figuren der Apostel, Propheten und Evangelistensymbole
geschmückt ist; dagegen stammt der von vier zweibahnigen und etwas höheren Maßwerkfenstern belichtete westliche
Teil des Langhauses wohl größtenteils aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts - in der Westwand befindet sich
über dem Portal die Jahreszahl Z46410; schließlich wurde in einem dritten, hier allein interessierenden Bauabschnitt
im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die Kirche im Osten mit einem neuen, prachtvollen Chor erweitert. Die-
ser setzt sich gegenüber dem dunklen, aus großen bemalten Wandflächen bestehenden Langhaus als lichterer Bauteil
entschieden ab. Er nimmt, bei gleicher Breite, ein Drittel der Gesamtlänge des Baues ein und besteht aus zwei Jochen
mit einem 5/8-Schluss; ein auf Konsolen ruhendes Netzgewölbe überspannt ihn. Sein Licht erhält er vornehmlich von
Osten und von Süden durch fünf dreibahnige, vierzeilige Fenster, die über einer jeweils schwach ausgebildeten fünften
Zeile als Abschluss der Fensterbahnen mit verspielten Maßwerkfigurationen versehen sind.
Bauherren des Chores, der als Werk einer »kurpfälzischen, vielleicht von Heidelberg ausgehenden Bauschule« ange-
sehen wird11, waren die Brüder Georg, Philipp II. und Engelhard III. von Hirschhorn; Letzterer ist 1527 als Vogt von
Heidelberg bezeugt12. Eine als Schriftband gestaltete Gewölbekonsole auf der Südseite trägt die Inschrift GEORG
/ PHILIPS / ENGELHAT // VO(N) HIRSHOR(N) / GEBRVDER, und auf einem zweiten Schriftband, das von
einem Konsolengel auf der Nordseite gehalten wird, ist das Baudatum ANNO ■ DO(MINI) ■ i-f-i-y zu lesen13. Außer-
dem sind im Gewölbe, im Osten beginnend, die Allianzwappen Hirschhorn/Fuchs von Bimbach, Hirschhorn/Bock
von Gerstheim und Hirschhorn/von Venningen angebracht14, womit die gemeinschaftliche Stiftung ein weiteres Mal
dokumentiert wurde. Schließlich erschienen die gleichen Wappenallianzen in den Fenstern, nunmehr verbunden mit
Bildern der Stifter und deren Ehefrauen sowie Inschriften mit allen Namen. Kein Zweifel, dass die drei Brüder mit
dieser Stiftung in die Fußstapfen ihrer Vorfahren treten wollten, indem auch sie sich - wie etwa ihr Vater Hans VIII.
(f 1513) und dessen Bruder Eucharius (J 1511) als Bauherren der 1514 vollendeten Anna-Kapelle an der Karmeliter-
Klosterkirche in Hirschhorn (s. S. 171h) - einen repräsentativen Bau zur Sicherung ihrer Memoria schufen.
Inwieweit verschiedentlich überlieferte Instandsetzungen der Kirche deren Farbverglasung betroffen haben, ist nicht
bekannt. Die ersten - und anscheinend einzigen - Nachrichten über den Fensterschmuck handeln von dessen sukzes-
sivem Verkauf im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Nachdem es um 1789/90 zu ersten Veräußerungen von Glas-
malereien gekommen sein soll, die vielleicht im Zusammenhang mit dem geplanten Abbruch des Baues standen, wurde
im Dezember 1807 ein Konvolut Hirschhörner und Ersheimer Scheiben nach Darmstadt übersandt (s. Reg. Nr. 26)15.
Dass sich auch danach noch Glasgemälde in situ befanden, ist durch die knappe Beschreibung Aloys Schreibers
aus dem Jahr 1811 belegt. Diese Scheiben dürften dann 1816 nach Darmstadt verkauft worden sein (s. Reg. Nr. 19),
wofür sich jedoch kein unmittelbarer Nachweis erbringen lässt. Aufgrund der Vernichtung der Akten des Hessischen
Landesmuseums Darmstadt im Zweiten Weltkrieg ist auch kaum mehr zu erhellen, wie es in der Folgezeit zur Zer-
streuung des Ersheimer Scheibenbestandes kam. Bekannt ist lediglich, dass um 1833/34 - auf Betreiben des eifrigen
Pfarrers Englert - Scheiben aus Hirschhorn zurückgegeben worden sind (s. Reg. Nr. 19, 28), darunter zweifellos die
heute im Langhausfenster nord VI der ehemaligen Karmeliter-Klosterkirche in Hirschhorn eingesetzte Scheibe aus
Ersheim. Über alle weiteren mutmaßlichen Abgänge aus Darmstadt herrscht Unklarheit. Um 1842/43 dürften jene drei
Kopfscheiben nach Worms gekommen worden sein, die das Hessische Landesmuseum 1930 vom dortigen Dombauamt
(wieder) erwerben konnte (Nr. 187, 194, 195). Auch das Pasticcio in Büdingen kann im Grunde nur über Darmstadt an
seinen heutigen Standort gelangt sein16. Seine Provenienzgeschichte ist indes ebenso wenig überliefert wie jene der
9 Kdni. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, II, Abb. 398!. Ein zweites,
kleineres Rechteckfenster auf der Nordseite wurde erst im 15. Jh. ein-
gebrochen.
10 Scholz, Bergstraße, 1994, S. 47, Nr. 58.
11 Seeliger-Zeiss 1967, S. 161, Anm. 528. Zuletzt wurde - freilich
ohne Argumente - Lorenz Lechler als Baumeister genannt; Spiegel-
berg 2006, S. 18, und Dehio Hessen, II, 2008, S. 446.
12 Lohmann 1986, S. 167.
13 Scholz, Bergstraße, 1994, S. 75E, Nr. 105E; Spiegelberg 2006,
Abb. S. 16.
14 Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, Abb. 393; Spiegelberg
2006, Abb. S. 19.
15 In den Erwerbungslisten des Großherzoglichen Museums wer-
den für die Jahre 1806/07 unter Zugang Nr. 24 Gemalte Fenster aus
Hirschhorn angeführt (s. Reg. Nr. 27). Keineswegs handelte es sich um
24 gemalte Fenster, wie Beeh-Lustenberger 1973, S. 218 mit Anm. 7,
angibt.
16 Vgl. hierzu Anm. 46.
EHEMALS ERSHEIM • PFARR- UND FRIEDHOFSKIRCHE
gonnene und von dessen Sohn Hans (J 1387?) vollendete Neubau ist nur mehr in dem von vier Strebepfeilern begrenz-
ten, innen von einem Kreuzrippengewölbe überspannten östlichen Teil des Langhauses erhalten, dem sog. Vorchor,
den zwei kleine, zweibahnige Fenster erhellen9 und der - als ursprüngliches Sanktuarium? - reich mit Wand- und
Gewölbemalereien aus der Bauzeit, nämlich monumentalen Figuren der Apostel, Propheten und Evangelistensymbole
geschmückt ist; dagegen stammt der von vier zweibahnigen und etwas höheren Maßwerkfenstern belichtete westliche
Teil des Langhauses wohl größtenteils aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts - in der Westwand befindet sich
über dem Portal die Jahreszahl Z46410; schließlich wurde in einem dritten, hier allein interessierenden Bauabschnitt
im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts die Kirche im Osten mit einem neuen, prachtvollen Chor erweitert. Die-
ser setzt sich gegenüber dem dunklen, aus großen bemalten Wandflächen bestehenden Langhaus als lichterer Bauteil
entschieden ab. Er nimmt, bei gleicher Breite, ein Drittel der Gesamtlänge des Baues ein und besteht aus zwei Jochen
mit einem 5/8-Schluss; ein auf Konsolen ruhendes Netzgewölbe überspannt ihn. Sein Licht erhält er vornehmlich von
Osten und von Süden durch fünf dreibahnige, vierzeilige Fenster, die über einer jeweils schwach ausgebildeten fünften
Zeile als Abschluss der Fensterbahnen mit verspielten Maßwerkfigurationen versehen sind.
Bauherren des Chores, der als Werk einer »kurpfälzischen, vielleicht von Heidelberg ausgehenden Bauschule« ange-
sehen wird11, waren die Brüder Georg, Philipp II. und Engelhard III. von Hirschhorn; Letzterer ist 1527 als Vogt von
Heidelberg bezeugt12. Eine als Schriftband gestaltete Gewölbekonsole auf der Südseite trägt die Inschrift GEORG
/ PHILIPS / ENGELHAT // VO(N) HIRSHOR(N) / GEBRVDER, und auf einem zweiten Schriftband, das von
einem Konsolengel auf der Nordseite gehalten wird, ist das Baudatum ANNO ■ DO(MINI) ■ i-f-i-y zu lesen13. Außer-
dem sind im Gewölbe, im Osten beginnend, die Allianzwappen Hirschhorn/Fuchs von Bimbach, Hirschhorn/Bock
von Gerstheim und Hirschhorn/von Venningen angebracht14, womit die gemeinschaftliche Stiftung ein weiteres Mal
dokumentiert wurde. Schließlich erschienen die gleichen Wappenallianzen in den Fenstern, nunmehr verbunden mit
Bildern der Stifter und deren Ehefrauen sowie Inschriften mit allen Namen. Kein Zweifel, dass die drei Brüder mit
dieser Stiftung in die Fußstapfen ihrer Vorfahren treten wollten, indem auch sie sich - wie etwa ihr Vater Hans VIII.
(f 1513) und dessen Bruder Eucharius (J 1511) als Bauherren der 1514 vollendeten Anna-Kapelle an der Karmeliter-
Klosterkirche in Hirschhorn (s. S. 171h) - einen repräsentativen Bau zur Sicherung ihrer Memoria schufen.
Inwieweit verschiedentlich überlieferte Instandsetzungen der Kirche deren Farbverglasung betroffen haben, ist nicht
bekannt. Die ersten - und anscheinend einzigen - Nachrichten über den Fensterschmuck handeln von dessen sukzes-
sivem Verkauf im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Nachdem es um 1789/90 zu ersten Veräußerungen von Glas-
malereien gekommen sein soll, die vielleicht im Zusammenhang mit dem geplanten Abbruch des Baues standen, wurde
im Dezember 1807 ein Konvolut Hirschhörner und Ersheimer Scheiben nach Darmstadt übersandt (s. Reg. Nr. 26)15.
Dass sich auch danach noch Glasgemälde in situ befanden, ist durch die knappe Beschreibung Aloys Schreibers
aus dem Jahr 1811 belegt. Diese Scheiben dürften dann 1816 nach Darmstadt verkauft worden sein (s. Reg. Nr. 19),
wofür sich jedoch kein unmittelbarer Nachweis erbringen lässt. Aufgrund der Vernichtung der Akten des Hessischen
Landesmuseums Darmstadt im Zweiten Weltkrieg ist auch kaum mehr zu erhellen, wie es in der Folgezeit zur Zer-
streuung des Ersheimer Scheibenbestandes kam. Bekannt ist lediglich, dass um 1833/34 - auf Betreiben des eifrigen
Pfarrers Englert - Scheiben aus Hirschhorn zurückgegeben worden sind (s. Reg. Nr. 19, 28), darunter zweifellos die
heute im Langhausfenster nord VI der ehemaligen Karmeliter-Klosterkirche in Hirschhorn eingesetzte Scheibe aus
Ersheim. Über alle weiteren mutmaßlichen Abgänge aus Darmstadt herrscht Unklarheit. Um 1842/43 dürften jene drei
Kopfscheiben nach Worms gekommen worden sein, die das Hessische Landesmuseum 1930 vom dortigen Dombauamt
(wieder) erwerben konnte (Nr. 187, 194, 195). Auch das Pasticcio in Büdingen kann im Grunde nur über Darmstadt an
seinen heutigen Standort gelangt sein16. Seine Provenienzgeschichte ist indes ebenso wenig überliefert wie jene der
9 Kdni. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, II, Abb. 398!. Ein zweites,
kleineres Rechteckfenster auf der Nordseite wurde erst im 15. Jh. ein-
gebrochen.
10 Scholz, Bergstraße, 1994, S. 47, Nr. 58.
11 Seeliger-Zeiss 1967, S. 161, Anm. 528. Zuletzt wurde - freilich
ohne Argumente - Lorenz Lechler als Baumeister genannt; Spiegel-
berg 2006, S. 18, und Dehio Hessen, II, 2008, S. 446.
12 Lohmann 1986, S. 167.
13 Scholz, Bergstraße, 1994, S. 75E, Nr. 105E; Spiegelberg 2006,
Abb. S. 16.
14 Kdm. Hessen, Kr. Bergstraße, 1969, Abb. 393; Spiegelberg
2006, Abb. S. 19.
15 In den Erwerbungslisten des Großherzoglichen Museums wer-
den für die Jahre 1806/07 unter Zugang Nr. 24 Gemalte Fenster aus
Hirschhorn angeführt (s. Reg. Nr. 27). Keineswegs handelte es sich um
24 gemalte Fenster, wie Beeh-Lustenberger 1973, S. 218 mit Anm. 7,
angibt.
16 Vgl. hierzu Anm. 46.