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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0188

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MAINZ • EHEM- KÖNIGSTEINER HOF

lS7

Erhaltung: Beide Scheiben sind, den von Hans J. Böhmelmann geschilderten Umständen ihrer Auffindung ent-
sprechend6, vielfach gesprungen, weisen jedoch keinerlei Ergänzungen auf. Die mit alten Sprungbleien geflickte Schei-
be mit dem Schwan ist sichtlich besser erhalten als jene mit dem Drachen, die doubliert ist und deren Bemalung mög-
licherweise überarbeitet wurde, vor allem im Bereich des Tierleibes.
Rekonstruktion, ikonografisches Programm: Ob die einander zugewandten, sich anfauchenden Tiere in den
Zwickeln unmittelbar auf eine verlorene Darstellung in dem Fenster Bezug nahmen, ist schlechterdings nicht eindeutig
zu beantworten. Mit Sicherheit hatten sie jedoch keine attributive Funktion, wie Böhmelmann gemeint hat, indem
er zuseiten einer zentralen Darstellung Christi oder Mariä die Heiligen Martin (Gans!) und Georg (Drache) in den
Außenbahnen vermutete7. Im Hinblick auf den Pelikan im Gewölbe - Symbol für das Opfer und die Auferstehung
Christi8 - und die Dreibahnigkeit des Fensters ist vielmehr an eine Kreuzigungsdarstellung zu denken, wobei die
Tiere in den Zwickeln unabhängig von diesem Zusammenhang allgemein für den Kampf des Guten gegen das Böse
stehen. Dass der Schwan ganz in diesem Sinne zu deuten ist, lässt sich anhand einer zeitgenössischen Miniatur in
einer Lohengrin-Handschrift aus dem Besitz der Margarete von Savoyen (f 1479), der Mutter Kurfürst Philipps des
Aufrichtigen, belegen: In der Schilderung des Zweiten Heidenkampfs versammeln die Ritter sich unter dem Schwa-
nenbanner Lohengrins zur Schlacht gegen die Sarazenen9.
Technik, Stil, Datierung: Die auf schwarz abgedunkeltem Grund stehenden Tiere sind technisch äußerst versiert
gestaltet, indem alle Möglichkeiten der Positiv-, namentlich aber der Negativzeichnung zu ihrer Modellierung ge-
nutzt wurden, was sich etwa am Federkleid des Schwans gut erkennen lässt (Abb. 68). Die Scheiben wären dennoch
nicht übermäßig bemerkenswert, würde es sich nicht um die einzigen mittelalterlichen Glasgemälde handeln, die in
Mainz an ihrem ursprünglichen Standort erhalten sind, und zugleich - bei einer aus historischen und baugeschicht-
lichen Gründen anzunehmenden Entstehung in der Zeit um 1463-1466 - um Vorläufer jener mittelrheinischen Ka-
binettscheiben-Malerei aus dem Umfeld des Mittelalterlichen Hausbuchs, wie sie im späten 15. Jahrhundert florierte
(s. Kunstgeschichtliche Einleitung S. 64). Die Bezüge lassen sich allerdings angesichts der geringen Vergleichsmöglich-
keiten über die Feststellung maltechnischer Parallelen hinaus nicht genauer fassen. Zudem muss im Hinblick auf die
künstlerische Situation in Mainz nach der Stiftsfehde (1461-1463) offenbleiben, ob die Scheiben in der Stadt selbst oder
- in Analogie zur Vergabe von Buchmalerei-Aufträgen an auswärtige Künstler10 - von einer andernorts ansässigen
Werkstatt angefertigt worden sind. - Mittelrhein, um 1463-1466.
Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheiben wurden im März 2009 in situ, jedoch nur von der Innenseite her unter-
sucht. DemTafelteil liegen Aufnahmen der GDKE Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege, zugrunde.

KAPELLENFENSTER

Fig. 114, Abb. 68f.

Lichtes Gesamtmaß: H. ca. 2,45 m, B. ca. 1,85 111.
Dreibahniges, einschließlich der Kopfscheiben vierzeiliges Maßwerkfenster mit Korbbogenabschluss. Das ursprüng-
lich sicher farbig verglaste Fenster ist mit Ausnahme der Zwickel zwischen den Kopfscheiben mit einer Butzenvergla-
sung gefüllt.

iAB ZWICKEL MIT SCHWAN Abb. 68
Monolith, H. ca. 20 cm, B. ca. 30 cm.
Erhaltung: Die Scheibe war schon bei ihrer Auffindung ge-
sprungen und mit Sprungbleien geflickt; an Vorderleib und
Hals befand sich eine große Fehlstelle. Die zugehörigen Scher-
ben waren erhalten, sodass die Scheibe unter vollständiger
Bewahrung der originalen Substanz wiederhergestellt werden
konnte. Die zahlreichen Sprünge wirken sich zwar störend aus,
doch ist die Bemalung mit rötlichem Braun- und (originalem?)
deckendem Schwarzlot vorzüglich erhalten und gewähren so-
mit eine gute Lesbarkeit der Darstellung.

8 LCI, III, 1971, Sp. 390-392.
9 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 345, fol. i26r;
zur Handschrift: Miller/Zimmermann 2007, S. 179-181 (K. Zim-
mermann). - Schwan und Drache erscheinen z.B. auch an der Schwelle
des Huneborstel’schen Hauses, Braunschweig, 1536; s. Hans-Günther
Bigalke, Geschnitzte Bilder und Figuren an Fachwerkhäusern in
Deutschland 1450-1700, Mtinchen/Berlin 2008, S. 44h und Abb. 64.
D In diesem Zusammenhang ist in erster Linie der Heidelberger
Buchmaler Caspar Radheimer zu nennen, der im Jahr 1465 von Kur-
fürst Friedrich I. Schutz und freies Geleit für Bücher erhielt, die er im
Auftrag geistlicher und weltlicher Personen aus Mainz zu illuminiren
und uß zu bereiten (Rott, III,i, 1936, S. 45) hatte.
 
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