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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0197

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ic/6

EHEMALS MICHELSTADT • STADTRKIRCHE

die Schenken von Erbach. Trotz verschiedener Erweiterungen - zuletzt, im ausgehenden 14. Jahrhundert, in Form
einer noch erhaltenen, seit 1677/78 als Grablege des Hauses Erbach dienenden Kapelle an der Nordseite des heutigen
Chores - wurde dieser Bau bald nach der Mitte des 15. Jahrhunderts allmählich aufgegeben und durch den bestehen-
den Neubau ersetzt2.
Durch Inschriften, Jahreszahlen, Wappen wie auch Meister- und Steinmetzzeichen am ganzen Baukörper ist die Bau-
geschichte der spätgotischen Stadtkirche ungewöhnlich gut dokumentiert, auch wenn der Bauverlauf nicht restlos
geklärt ist. Im Jahr 1461 legte Schenk Adalar, Herr von Erbach - ein Sohn Schenk Philipps I. (f 1461) und dessen Frau
Lukardis von Eppstein, die als Initiatoren des Neubaues gelten - den ersten Stein am Chor, der Falk Krebs zufolge
innerhalb von zwei bis drei Jahren vollendet gewesen sein soll. Unter den (regierenden) Schenken Philipp IE, Georg I.
und Johannes IV. wurde im Jahr 1475 mit der Erneuerung des Langhauses begonnen3; hier dauerten die Arbeiten,
die zumindest in den letzten Jahren von Konrad von Mosbach dirigiert wurden, bis 1490, möglicherweise sogar bis
1497 an, und in einem weiteren, 1507 von den Schenken Eberhard XI. und Valentin I. initiierten Bauabschnitt folgte
bis 1537/38 der den Hll. Michael und Kilian geweihte Turm an der Südseite des Chores4. Bald darauf - nach dem Tod
Eberhards XI. (j* 1539), der 1532 in den Grafenstand erhoben worden war - ließ dessen Gemahlin Maria, geb. von
Wertheim, an das Ostjoch des südlichen Seitenschiffs eine Grabkapelle für ihren verstorbenen Mann anbauen, die 1542
vollendet war, und in demselben Jahr erhielt schließlich der Pfälzische Oberbaumeister und Steinmetz Moritz Lechler
von Graf Georg II. von Erbach den Auftrag, den Khor in der Pfarrkirchen [...] ‘wiederum zuzurichten und zu hauen -
Erneuerungsarbeiten, die durch die Errichtung des Turmes notwendig geworden waren und auch eine am Schlussstein
mit dem Allianzwappen Erbach/Pfalz-Bayern 2343 datierte Neueinwölbung des Chores umfassten3.
Damit hatte die Kirche nach etwa acht Jahrzehnten Bauzeit ihre endgültige Gestalt erhalten. Mit einer dem Marktplatz
zugewandten Schauseite im Westen, deren Hauptmotiv ein hohes vierbahniges Fenster bildet, präsentiert sie sich als
breit gelagerter pseudo-basilikaler Bau mit einem nahezu quadratischen, dreischiffigen und dreiwöchigen Langhaus,
das am Ostjoch der Südseite um die Grabkapelle Eberhards XI. erweitert ist und an das sich ein zweijochiger Chor
mit 3/8-Schluss anschließt; dieser wird auf der Nordseite von einer älteren, ursprünglich mit dem Langhaus verbun-
denen Kapelle begleitet und im Süden von einem massiven Turm regelrecht bedrängt. Aufgrund dieser baulichen
Situation ist der Chor nur im Chorhaupt mit Fenstern versehen: einem dreibahnigen, einschließlich der Kopfscheiben
siebenzeiligen Fenster in der Achse sowie drei zweibahnigen, wiederum siebenzeiligen Fenstern an den Seiten, wobei
die Fenster Chor I und nord III in den unteren Zeilen von Epitaphien des 17. Jahrhunderts6 verdeckt werden und das
Maßwerk in offenbar allen Fenstern um 1900 ergänzt wurde (Fig. 125).
Obgleich zur Farbverglasung der Kirche keine urkundlichen Nachrichten vorliegen, müssen die Wappenscheiben im
Zuge der 1542/43 ausgeführten Erneuerungsarbeiten am Chor - vermutlich wie diese im Auftrag Graf Georgs II. -
entstanden sein, denn eines der wenigen originalen Inschriftenstücke trägt die Jahreszahl 1543 (vgl. Nr. 22), und eine
zeitgenössische Einritzung in Nr. 17 hält erstaunlicherweise fest, dass eine Scheibe zum Preis von 2 Gulden berechnet
wurde.
Für die folgenden Jahrhunderte sind verschiedene Arbeiten an und in der Kirche belegt, die - wie der Abbruch des Ge-
wölbes im Mittelschiff zugunsten einer Flachdecke (1624), der Einbau von Gestühl, Bühnen und Emporen (i66o/7oer-
Jahre, 1725, 1747/48, Anfang 19. Jh.) sowie einer Orgel zwischen Chor und Mittelschiff (1S07)7 - dem Bau nach und
nach ein recht unansehnliches Inneres beschert haben müssen. Noch 1891 schreibt Georg Schäfer, gleichsam in
Vorwegnahme Thomas Bernhard’scher Tiraden, von der »Schlimmbesserung [...], welche sich nicht entblödet hat,
[...] den Innenbau um die schönste seiner perspektivischen Durchsichten zu bringen«, und fährt fort: »Alle Ruhe, alle

2 Die Schenkungsurkunden Kaiser Ludwigs des Frommen (815) so-
wie Einhards und Immas (819) sind wiedergegeben in: Codex Lau-
reshamensis, I, 1929, S. 299L, 301k, Nr. 19k; ebd., S.416, Kap. 142a,
findet sich auch die Ersterwähnung der Marienkirche in Michelstadt.
Die überlieferte Weihe einer Kirche 821, folglich auch deren Identi-
fizierung mit den 1967 ergrabenen Resten, dem sog. Einhardsbau
- s. Johannes Sommer, Der Einhardsbau von 821 in der Stadtkirche,
in: Michelstadt - 500 Jahre Stadtkirche (Rathaus- und Museums-
reihe 9), Michelstadt 1991, S. 19-30 -, ist dagegen äußerst fraglich;
vgl. Wolfgang Hartmann, Zu den frühen urkundlichen Erwähnungen
von Michelstadt im Odenwald, in: Der Odenwald 40, 1993, S. 47-57.

Zur frühen Baugeschichte s. zusammenfassend Friedrich Oswald, in:
Vorromanische Kirchenbauten, I, 1966-1971, S. 215k, zuletzt Scholz,
Odenwaldkreis, 2005, S. XXL - Zu den Patronatsverhältnissen: Mül-
ler 1937, S. 462; Demandt 1966, S. 133, Nr. 157. - Zum Neubau des
15./16. Jh. s. vor allem Krebs 1991, zuletzt Scholz, a.a.O., S. XXIIf.,
Steiger 2005, S. 1 iSf., Dehio Hessen, II, 2008, S. 579.
3 Scholz, Odenwaldkreis, 2005, S. 339k, Nr. 46, mit kritischer Stel-
lungnahme zu Krebs 1991, S. 38, der das Datum 1475 entgegen dem
Wortlaut »Incepta est ...« auf einen »vorläufigen Abschluß der Arbei-
ten am ganzen Kirchenschiff« bezieht.
4 Walter Hotz, Konrad von Mosbach - ein Baumeister der Spätgotik
 
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