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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0515

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SM
Zusammenfassend ist zu sagen: Die Möglichkeit einer Restau-
ration besteht. Sie ist mit Rücksicht auf die große Schönheit der
alten Scheiben sogar unbedingt zu befürworten. Sie muß aller-
dings gründlich geschehen und hat nur Sinn und Aussicht auf
Erfolg, wenn ca. 40% des derzeitigen Befundes entfernt und
durch dem alten Bestand angepaßte Bemalung und Patinierung
neuer Scheiben aus »Echt-Antik-Glas« ersetzt werden. Hierzu
gehören alle Scheiben der Gruppen 4 und 6. Bei den Scheiben
der Gruppe 3 muß vor ihrer eventuellen Entfernung ein Ver-
such gemacht werden, ob durch vorsichtiges Nachbrennen die
noch vorhandene Malerei so weit gefestigt werden kann, daß
ihr weiterer Bestand als sicher gelten kann. Mit Ausnahme
der mechanisch oder durch Witterungs- (bzw. andere) Einwir-
kungen zerstörten Scheiben ist der alte Bestand zu erhalten. Es
folgen einige Bemerkungen zum weiteren Vorgehen und zur
Auftragsvergabe.
5, Die Bestandsaufnahme:
Hindorf berichtet zuerst von der Erstellung von gezeichneten
Kopien, dann von Brennversuchen an Gläsern der Gruppen 3
und 6. Das Resultat war negativ in beiden Fällen. Die Tong-
lasscheiben verloren die Malerei restlos und veränderten ihre
Struktur. Die Scheiben der Gruppe 3 veränderten, sofern es
sich um helltönige Scheiben handelte, ihre Farbe und verlo-
ren durchweg für die Durchsicht ihre Malerei, die jedoch bei
seitlicher Betrachtung der Scheiben deutlich erkennbar blieb.
Dies Ergebnis teilten wir [...] Herrn Dekan S(eyerle) mit und
baten um seine Stellungnahme, da der hierdurch notwendig
werdende Ausfall an alten Gläsern, zumal an reich bemalten
Ornamentbandscheiben (Felder23-28 [ia-d]) beträchtlich war
[...]. Es wurde entschieden, alle Scheiben der Gruppe3 [...] zu
ersetzen. [...]
6. Der Werkkarton:
Am 29.1. begann ich in meinem Arbeitsraum in Michelstadt mit
der Herstellung des Werkkartons. Hindorf schildert, dass bei
einem Besuch von Dekan Seyerle und dem Kirchenvorstand am
9. Febr. 1956 der Karton für die Anbetung der Könige Zustim-
mung fand und über die Darstellung in den oberen Registern
diskutiert wurde. Wie uns allen inzwischen klar geworden war,
mußte diese Darstellung als Marienkrönung angesehen werden,
gleichgültig, ob man in der der Maria gleichwertig gegenü-
bersitzenden Gestalt Gottvater oder Christus erkannte. Herr
Dekan stellte die Frage auf, ob es nach der Kanonisierung der
Himmelfahrt Mariä seitens der katholischen Kirche für einen
protestantischen Kirchenraum tragbar sei, die Darstellung einer
Marienkrönung an so zentraler Stelle zu zeigen [...]. Es läge ihm
durchaus fern, dieses Fenster, Zeichen einer ehrwürdigen christ-
lichen Frömmigkeit aus einer Zeit, in der es die Spaltung der eu-
ropäischen christlichen Kirche noch nicht gegeben habe, nun zu
einer seinem Wesen fremden, rein protestantischen Aussage zu
vergewaltigen. Es läge ihm vielmehr daran, das uns als Christen
verbindend und allgemein Bewegende, von dem dieses Fenster
beredtes Zeugnis ablege, wieder zur vollen Geltung kommen zu
lassen [...]. Die Darstellung sei als Anbetung Gottvaters durch
die in die himmlische Welt erhobene Gottesmutter Maria zu
deuten. Gegen diese Deutung wurden nach Hindorfs Bericht
zwar verschiedene Einwände vorgebracht - so die Position
Christi-Gottvaters in Bezug auf Maria und deren gleichwertige
Darstellung -, doch lag nach allgemeinem Dafürhalten kein
Grund vor, die Auffassung Herrn Dekan Seyerles abzulehnen,
zumal sie [...] eine Darstellungsmöglichkeit bot, die wir in jeder
Hinsicht für ein evangelisches Gotteshaus bejahen konnten. Die
Überlegung, welche praktischen Auswirkungen diese gewon-

nene Darstellung mit sich bringen würde, ergab, daß wir mit
der notwendigen Änderung der gegenwärtigen Bleiführung in
diesem Feld einige Scheiben des alten Bestandes beschneiden
oder sogar ausscheiden mußten [...].
Als letztes wurde das Problem der beiden Schriftbänder in den
Stifterfeldern (3 und 8 [6a+d]) erörtert. Von ihrem ursprüng-
lichen Bestand waren nur Fragmente erhalten [...]. Deren Ent-
zifferung fiel laut Hindorf schwer, außerdem ließ der Original-
text sich nicht ergänzen, sodass Dekan Seyerle entschied, daß
es für die neue Gestaltung des alten Fensters unwesentlich wäre,
diese in ihrem originalen Satz fragwürdigen Texte zu erhalten,
und vorschlug, statt ihrer Bibeltexte einzufügen, die mithalfen,
die Aussage des Fensters verständlich zu machen.
7, Ergänzung der fehlenden Gesichter:
Bei der Ergänzung der fehlenden Gesichter ließ ich mich
weitgehend von den bei der vorangegangenen Besprechung
gewonnenen Gesichtspunkten leiten, soweit es die Köpfe der
Krönungsdarstellung betraf. [...] Ich glaubte, der gesteigerten
Bedeutung, die der Darstellung Gottvaters in der nun bestimm-
ten Gestaltung des Fensters zukommen sollte, am besten und
eindringlichsten dadurch zu dienen, daß ich von vornherein
auf eine Stilangleichung an den alten Königskopf verzichtete
und, ohne Rücksicht auf kunsthistorisch berechtigte Einwände,
romanische Stilelemente verwendete, um einen Gottvaterkopf
jenseits aller Individuation und der menschlichen Sphäre mög-
lichst enthoben Gestalt gewinnen zu lassen. [...] Bei der späteren
Ausführung wurde versucht, ein farbiges Adäquat zu dieser
Vorstellung in der durchsichtigen Bläue der gewählten Schei-
be zu finden. [...] Der am Gottvaterkopf gewonnene Stil wurde
in aufgelockerter und zu den Köpfen der unteren Darstellung
überleitender Formgebung auch bei den übrigen Köpfen der
oberen Felder durchgeführt.
8, Abnahme des Kartons:
Hindorf berichtet, dass nach der Besichtigung des fertigge-
stellten Kartons durch Dekan Seyerle, den Koblenzer Baurat
Schumacher und die Leitung der Werkstatt Münch das Restau-
rierungskonzept festgelegt wurde (weitgehende Erhaltung des
alten Bestandes, Aufbewahrung ausgeschiedener alter Gläser,
Kartierung vorgenommener Änderungen, etc.).
9, Die Restauration:
Hindorf schildert zunächst, in welcher Reihenfolge die ein-
zelnen Scheiben des Fensters wiederhergestellt wurden, und
geht dann auf einzelne Probleme ein. Das eine zerstörte der
beiden apokalyptischen Fabeltiere [im Maßwerk] wurde nach
dem erhaltenen kopiert, wie es zweifellos auch im alten Fens-
ter war. Der in seiner Darstellung nicht ganz geklärte halslose
Kopf im Heiligenschein [wiederum im Maßwerk], dessen untere
Gesichtshälfte (s.o.) erhalten war, wurde, als Schmerzensmann
verstanden, ergänzt. Die meisten ornamentlosen Scheiben, die
großenteils der Restauration von 1910 entstammten, wurden
im Stil des Fensters sparsam mit aus dem Fenster genommenen
Ornamenten versehen. Bei den Hauptfeldern beließen wir als
Randscheiben die zwar unoriginalen Mattglasscheiben späterer
Restaurationen, die vermutlich dem Originalrand, von dem
nur wenig Scheiben in einigen Maßwerkfeldern erhalten waren,
recht gut entsprochen hatten. Dies galt auch für einige Architek-
turscheiben wie die Abdeckungen der Fialen und einige Bandzü-
ge. Auch einen Teil der originalfremden gelben Tonglasscheiben
beließen wir, weil sie, an sich gut im Farbton, im Lauf der Zeit
eine gute natürliche Patina erhalten hatten. Dies betraf beson-
ders die feinen Gliederungslinien innerhalb der Architektur. In
wenigen Fällen haben wir, z.B. bei Gewändern, das in früheren
 
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