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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 1.1896/​1897

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Nr. 10 (5. Dezember 1896)
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Preis vierteljährlich 3.— Marfk,
$ür die Mitglieder der Kunft: und
Küänfller - Vereine 2.— Marf,

Poflzeitungslifte Yr, 1739 a,



Ale 8 Tage erfcheint eine Nummer.,

3nferate S .
Foften 40 Pfennige für die 4 gefpaltene
YWonpareille: Zeile.

Yr. 10.


I. Jahrogang.



s ift außerordentlich lehrreich zu beobachten, wie ver:
blüffend. das Anuftauchen einer in fich gefchloffenen
Künftlerindividualität gerade auf diejenigen wirkt, die
der Berechtigung des {ndividualismus grund{äßlich das

: Wort reden und fich gebärden, als ob mit diefem Schlagwort
ein ganz neues Kunftprinzip gefchaffen wäre. Um befagter Ver-
blüffung Herr zu werden, Fleben fie dem plößlich zur Welt ge:
Fommenen Originalgenie {chnell eins der ftets fertig gehaltenen
Etifetts an und verlieren jede Beängftigung, jobald das Ding
einen landläufigen Xamen erhalten hat. Melchior £echter ift
jeit vierzehn Cagen fein fäuberlich rubrizirt. Die Analyfe feines
verblüffenden Könnens hat ein paar BGrundftoffe ergeben, für
die fchon längft die Retorten bereitftehen. Schnell die Etifetts
darauf! Ayfticismus, Symbolismus, Archaismus — Melichior
Sechter ift einrangirt in die Stammrolle modernen Kunftfchaffens.
Der Seift ift gebannt. Wehe ihm, wenn er fich anders offen-
bart, als ihm ordnungsgemäß zufommt! Dem armen Künftler
muß vor {einer in einem Sahrzehnt mühevoller Arbeit errungenen,
jo überaus fchnell verftandenen BGottähnlichfeit ordentlich: bange
geworden jein! Er ift vom Himmel gefallen, wie es doch eigentlich
Fein rechter AMeifter foll!


— fhreiben, die fich aus lauter Derneinungen zufjammenfeßt. AMel:
‚ chior £echter ift Fein NMivyftifer, Lein Symbolift, Fein Archaift,
feln . u | . Meldhior Sechter it - um ber der Form
der Verneinung zu bleiben — Fein anderer als er felbit, viel
oder wenig, je nachdem, aber immer eine Perfönlichfeit, in der
fich die Welteinheit darftellt, wie fie in L£inie und Farbe auf eine
eigenartige Seelenfläche projicirt wird. „Wär’ der Gedank’ nicht
{o ermünfcht gefcheid, man mwär’ verfucht, ihn herzlich dumm zu
nennen.“ Alfo furz heraus gefjagt: MNMelchior Lechter ift nicht
_ mehr und nicht weniger als ein echter Maler, d. h. ein Menfch,
‘ der fich mit Stift und Pinfel eine eigene Welt {chafft, die der von
jedem gewöhnlichen Sterblichen gefehenen Ähnlich ift, obne ihr
zu_gleichen. -Seine Welt ift garnicht räthjelvoll, jondern Har und
feit umrifjen hingeftellt, man muß mit ihr rechnen wie mit einer
YOirklichfeit. Alan kann fich widerwilig von ihr abwenden, man
Fann fie in myftıfcher Yerzücung anftaunen, aber fie ift jedenfalls
da, und man muß fich mit ihr abfinden auf dem Wege des
Derftehens, nicht auf dem nachempfindelnder Bewunderung.
Wenn man die Ausftellung im Salon Burlitt in Berlin
betritt, {teht man in dem Bannkreis einer malerijchen MWelt:
anfchanung, die einen faft beängftigend umdrängt, weil fie feft


Yachdruck verboten.

in fich gefchlofjlen ift. Dieje Überlegene,
Sülle Fünftlerijcher AManifeftationen dargelegte Gefchloffenheit wirkt
zunächft überrajchend, dann zwingend, weil fie fich mit der gefjammten
YOirklichfeit endgültig abgefunden, fie in fich aufgenommen und
mit £eben vom eigenen £eben durchfeßt hat. AMelchior Lechter
Frittelnd ablehnen, i{t ebenfo leicht, als ihn verhimmelnd bewundern;
ihn begreifen heißt, {ich flar machen, wie er in den Organismus


{o und nicht anders umzubilden.

$Sür den Künftler ift die frühe Jugend in höherem Srade
beftimmend als für den Dichter, weil er von den erften Sinnes:
eindrücken, wie fie durch Sorm und Sarbe bedingt werden, mit
Der Knabe
Melchior Lechter hat im Dome zu Münfter am Altar fnieend
WMefje gedient. Durch die hohen bunten Slas{heiben einfallend,
glitt das £icht in gedämpftem Sarbenfpiel über die MWeihrauch:
wolfen hin, mächtige Orgeltöne erfüllten die dämmrigen Hallen,
und das Yuge des Ainiftranten verirrte fich träumerijch in dem,
Ornamentgewirr der Kirchenfenfter. Die Sprache der Linie und
der Farbe umtönte ihn, bis ihm die unartikulirten Laute ver:
{tändlich wurden, nicht auf dem abftrakften Wege des Lernens,
fondern auf dem Ddes inftinkftiven Empfindens. Sein Beherr{chen
der ornamentalen Grammatif ift nicht allein ein Refultat feiner.
{trengen £ehrjahre als Glasmaler, fie war ihm in Sleifch und-
Blut übergegangen, ehe er dekfliniren lernte, wie die Autterfprache.
Daher fam es, daß ihm ihr inner{tes Wefen fich erfhloß, daß
fie ihm ein lebendiger Organismus wurde, deffen Urbilder nicht
in einer mathematijchen Sormel, Jondern dranßen in der Aatur,
im Ranfengewirr der Sweige, in der unendlichen Füle der Blatt:
Blüthen: und Fruchtformen zu Inchen waren.
Slasfenftern Iag für den Künftler eine Erfcheinungswelt, über
deren ftilifirtes Abbild er zu tbrem inner{ten Kern durchdringen
mußte.

SFechter wurde Schlüler der Berliner Hochfchule für Ddie bil:
denden Künfte. MWie wenig Anlage er zum myftijchen Cräumer
hatte, beweift der Umftand, daß er nach feinem eigenen Geitändniß


denen Neigung zur ANvyftik, zunı Symbolismus unendlich fern liegt.
3m Zeichnen und Malen nach dem AYkt hat der Akademiejhüler
feine erften Erfolge aufzumweijen Aachts erwirbt er fich durch
Entwürfe für die Glasmalerei die WMiittel für den L£ebensunterhalt,
bei CTage lernt er eine zweite Formen{prache, die der men|chs
lichen BGeftalt, Auch hier ift ihm das malerijche Erfaffen der
 
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