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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 1.1896/​1897

DOI issue:
Nr. 47 (21. August 1897)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55168#0559

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Preis vierteljährlih 5.— Marfk,
für die Mitglieder der Runft- und
Rünftler - Dereine 2,— Mark,

Poftzeitungslifte Nr, 1174.



Alle 8 Tage erfcheint eine Nummer,
; Öunferate
foften 40 Pfennige für die 4 gefpaltene
Nonpareille-Zerle.


Yr. 4,


I.\ Iahraguang,


31‘°’°\%

as Beftreben der modernen Wiff enfcbccft i{t namenthrb
unter dem neuerdings . zur Geltung fommenden
; amerifanifch-englifchen Einfluffe vormiegend auf Statiftik
gerichtet. Es ift das demofkratifch rationelle Syftem der
Stimmenmehrheit, das hier zur BGeltung Fommt und das feiner
ganzen Natur nad) auf die Ariftokraten des Geiftes nur geringen
Reiz ausübt, Die CThatfache, daß eine Anzahl von Menfchen
für beftimmte farben befondere Vorliebe zeigt, genügt en
wiffenfchaftlichen Demofraten fhon, um na der Grundlage
irgend einer neuen Entwidelungstheorie zu forfhen. So hat
unlänglt ein Amerifaner die Ergebniffe feiner „pfyhologifchen‘‘
Sorfhungen über Lieblingsfarben veröffentlicht. . €r Dhatte auf
der Chicagoer Weltausftellung in feinem Laboratorium eine
Unzabhl . farbiger Rarten ausgehängt und ließ die Befucher ihre
Lieblingsfarben darunter. bezeichnen. Dabei will er dann fefte
geftellt haben, daß Roth die Lieblingsfarbe der Frauen, Ylanu
diejenige der Männer fet.
{tellt na Beobachtungen, die. er an „YNaturvölfern‘‘ gemact
haben will, die CTheorie auf, Roth wäre deshalb die Lieblings-
farbe fo vieler Dölfer, weil fie in der Natur am feltenften vor-
fäme, Dabei muß er aber einräumen, daß Xlan nicht minder
gefucht ift, und weift felbft darauf hin, daß die {prachlichen
Beseichnungen für diefe Farbe von „Himmel“ abgeleitet wurden.
Deutfche Botanifer haben dagegen nacdhgewiefen, daß unter den
Blüthen und Früchten die rothe Farbe die häufigfte, Blan die bei
weitem feltenere fei; denn da der Brundton in der Natur grün
ift, fo erfcheinen mittel-violette Xlüthen, wie Erifa, Alpenrofen 1C.,
im ‚freien roth ıc. Daß die Perfer das Grün bevorzugen,
erfcheint ihm erflärlih, weil die Degetation des Landes dürftig,
die Landfchaft alfo mit fehr wenig Grün durchfett fei. Die
Srage, ob die Perfer als Naturvoll anzufehen find, läßt er
ebenfo unerörtert, .wie die Thatfache, daß bei den Japanern
Verbindungen von BGrün und Violet fehr beliebt und gleichzeitig
in der Degetation fehr reichlich durh. Glycinen und Clematis
vertreten find.. Einige Berücfichtigung läßt er der Häufigkeit
‚vorfommender fFarbitoffe angedeihen, wobei ja entfchieden dem
Roth eine hervorragende Rolle zufällt. Verhältnifmäßig geringe
Berücfichtigung Iäßt er der Farbenfymbolif miderfahren, die doch
nachweislid) bei morgenländifhen Völfkern große Bedeutung hat
und ja aud) bis zum Anfang des, laufenden Jahrhunderts‘ in
den europäifchen Rulturländern gepflegt wurde, Endlih aber
überfieht er gänzlidh die Unberedhhenbarfeit der Mode im Hinbli
auf die Farbenwahl. Diefe wird ohne Zweifel durh Fürftinnen,
Schaufpielerinnen und andere „Modedamen‘ beeinflußt. Sie


mwählen das für ihre Perfönlichkeit Geeignete und die gedankenlofe
Menge abmt es nacd), ohne das Perfönlihe zu berücfichtigen,
Lihtwarf hat einmal nacdhgewiefen, daß fich diefe Farbemoden
fogar auf die Blumenzucht erfireden. Berade dadurch erklärte


unzertrennlichh anbaften wird. Aus einer Farbenffala ficdh eine fos.
genannte Lieblingsfarbe bezeichnen Iaffen ift direft dumm; das ift


Lieblingsholz ausfuchen; erft muß man doch die Möbel 2c. fehen,
die daraus gemacht find!

Bofe oder eine Portiere handelt, wird man verfchieden wählen.
Im Allgemeinen huldigt man gegenwärtig der Annahme,
daß in alten. Zeiten Gefhmadk und fFarbenfinn beffer gepflegt
und entwicelt maren als hent, Man überfieht dabhei, daß wir
die Vergangenheit nur nacd) Runfiwerfen, nicht nach der Wirklichkeit
beurtheilen, daß nicht der BGefhmad der Menge, fondern die
Perfönlichfeit der Rünftler aus der Malerei zu uns fpricht, Dem-
gegenüber Iäßt fich allerdings eine Gefchichte des Farbengefchmads
von Botticelli bis Domenicdhho, von Dürer bis Rlinger, von
Sounquet bis Wattean und Aehnlidhes fchreiben.
der Farbengefhmads ift aber von der Gefchichte der technifchen
Färbeverfahren unzertrennlidh., Obhne Zweifel ift es in wieler
Hinficht beflagenswerth, daß die Freude an der reinen Farbe er-
lofghen ift (man müßte fih denn darüber frenen, daß fie in den
moderniten Plakaten wieder auflebt?!); allein der Jndnftrielle hat
- ein Dobes Yntereffe an fteter Abwechfelung, und der Färber feine
Sreude daran, 8
und das faufenöe Publifum freut fich mit ihm. Dabei fragt es
fic) freilich, ob es Ddiefe fFrende in richtiger Weife zu Außern
vermag. Denn es ift eine Sache, eine fhöne Farbe empfinden


Afford zu verbinden. Es Fönnen viele Menfchen eine Fomponirte
Melodie pfeifen oder fingen, das Spielen auf dem Infirumente
will erlernt fein; es Fann jemand eine - wunNderfhöne Stimme
haben und doch Fein mufifalifihes Gehör befißen. Eine .
fyltematifdhe Farbenbildung, wie fie . B, die Hindukinder fhon
durch die Art ihres Spielzenges erhalten, erachtet man in den
europäifchen Rulturländern für überflüffig. . . Die Pflege Dder
weiblichen HKandarbeiten, die dazır geeignet ift, {teht gegenwärtig
dem Fußarbeiten (Fahrrad) zu Liebe in Mißfkredit, was aud) gar nicht
zu verwundern ift, weil fich die „gebildeten Damen‘* in Bezug auf

ihre Handarbeiten ganz in Abhängigkeit von den jüngften Laden-
| jünglingen der Herren Rühl und Röfife u. f, w. geftellt haben.
 
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