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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 1.1896/​1897

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Nr. 24 (13. März 1897)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55168#0283

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— Dreuffche Kunft.

Centrat-Organ Deutfeber Kunft- und Künftler-Vereine.

Wochenblatt für das gefammte deutiche fiunftfcfyaffen.

Preis vierteljährlih 5,— Martk,
für die Mitglieder der Runft- 1und
Rünftler = Dereine 2,— Marf,

Poftzeitungslifte Yr. 1174,

Publifationsorgan des Deutfchen Kunftvereins in Berlin, des Schlefifhen Runftvereins i
bereins in Dejfjan, des Württembergijchen Runftrereins in Stuttgart,




Alle 8 Tage erfeheint eine Nummer,
änferate
foften 40 Pfennige für die 4 gefpaltene
‚ Nonpareille-Zele.



I. Inhvanng,

Mr. 24.



ir fehben gleid zu Anfang, daß die Freude an einem Runft- \
werfe ein verwicelter Begriff ift. Wir wiffen nicht immer

/° was wir an einem Bilde fhäßen. Es wäre frevelhaft das

nur, in feiner geheimnißvollen Unbegriffenheit fo reizvolle Wefen diefer
Srende zergliedern zu wollen. Jede „Richtung‘“ hat da ihre
eigene Theorie. Die Runft, fagen die Einen, ift ihrer felbft
wegen da; fie liefert nicht lediglihh einen Bericht des Gegen-
Itandes — ihr Wefen befteht in einer DVerklärung desfelben, und
was noch mehr fagen will, fie bedarf eines Gegenftandes, welcher
irgendwo in der Wirklichfeit vorhanden ift, überhaupt nicht, fo
wenig wie etwa die Dichtkunft. Sie iefert nicht getrocknete /
Mlumen in das Herbarium, fondern ihre SchHöpfungen find
Yelbit die herrlichften Blüthen, aus des Menfchen Herzen
_ und Sinn geboren. Wie würde man fonft die Leute nennen /
müffen, weldhe ihre Zeit damit vergenden, Gemälde zu fchaffen,
jie 3u beirachten und BGeld, oft fehr viel Beld zu opfern, um
folche mit farbe angeftridhenen Tafeln von Holz oder Leinwand _
3u befißen, wenn fie nur das wiedergeben, was da ift, was das
Auge au fonft und umfonft fieht? _ /

Die Anderen rufen im Gegentheil: „Das ift wahr, das ift
MNatur, das ift Wirklichfeit!‘“ und fie bemeffen na dem Grade
der Naturgemäßbheit ihre Preife.

Und was für Preife find das zuweilen! fFür die „Nacht-
wache‘* von Rembrandt, im Reihsmufeum zu Amfterdam, haben
die Engländer vergebens anderthalb Millionen Pfund Sterling
geboten — und man fann nidht fagen, daß die Holländer das

‘ Geld nicht zu fhäßen wüßten. Sie fagten aber, behaltet eure
Pfunde, wir behalten unfere „Schilderei‘“, Auch um den fchlichten
Millais riffen fichh zwei große Nationen. fFür einen Andreas
Achenbach, weldhen der betagte Meifter insgefammt in wenigen
Stunden unter- und übermalt hat, zahlt man auf den Aufktionen
Taufende und fhäkt fih glüclidh, den Mitbewerber überboten
zu haben. Warum? Jft Adenbadh nur deshalb fo gefchäßt,
weil er fo realiftifch malte? Darin find ibm andere über, die
fehr viel billiger find.

Was heißt überhaupt Realiftif?

Nlan hat foherzweife behauptet, daß irgend wer das Mild
jeiner fran, von Lenbacdh gemalt, lieber betrachte, als diefe felbft.
Indeffen, das ift wohl nur eine nedifche Erfindung. Lenbach ift
jedenfalls Fein Realift 0oder Wirklichkeitsmaler, denn fein Beiwert
hbefonders ift der allerfraffefte Jmpreffionismus. Aber an jedem


Jllufion zu Schanden werden. Es befteht eine Dorfhrift, daß
— ein Gemälde ftets, oder am beften doch, in dem Abfiande feines



doppelten Umfanges betrachtet werden müffe. Auch wird Ddie
Mnd überall
heißt es, auf einem Bilde dürfe man nicht mit der Yiafe lLiegen.

Es find zwei verfchiedene Begriffe: Befichtigung und Be-
irachtung. Der Eine fchnalzt mit der Zunge, rümpft die Yafe
und macht, während ‚er eine Galerie durdhwandert, eine Reihe
von Geberden, denen man die unwillfürliche Reflerbewegung
deutlih anfıeht. Wenn es nicht unwillfürlidhe find, um S
{Olimmer; denn dann erfcheinen diefelben erkünftelt . und denten
auf ein um fo geringeres VDerftändniß. E 5

Anders. der Renner, der das erhöhte Farbens und Formen-
leben eines Bildes in derfelben Weife für felbfiverftändlich aner-
fennt, wie der Lefer und Würdiger der Dichtung das erhöhte
idealifirte Wefen der Sprache, die Gemeffenheit, den Rhvthmus
des Versbaues, den Wohllaut der Reime, das Tropifche der
VDergleihe etwa in der „Jliade“ oder in einem Schiller’fchen
Drama. CEin Bödlin mit feinen vifionären Seltfamfkeiten, die


Hellmaler erfcheinen ihm gleid begründet oder Fünftlerifh be-
vechtigt. Gerade vor denjenigen Gemälden, welcdhe lediglih den
Alltag abfchreiben, vor fogenannten „Veduten‘“, wird er wahr-
feheinlih am wenigften verweilen. Er achtet fie vielleicht. nicht
viel höher als eine Photographie. Sie werden meift fehr hart
und hölzern fein; Aber eine Wenglein’fhe Sumpfparthie, einen
Oeder, Schirmer, eine HKans Herrmann’fche BGracht betrachtet er
entzüdt. Er nennt fie „Symphonien‘, in Braun, in Roth oder
in Grau. Das edle BGran befonders ift ihm die Mutter aller
Sarbigfeit. ;

Der große Streit zwifdhen Rünftlern und Rritifern. auf dem
Boden der bildenden Rünfte, weldhher vor einer Reihe von Yahren
in deutfhen Ganen wüthete, ift gewiß nocdh nicht vergeffen worden.
Er hat ftellenweife zu Dheftiger Erbitterung geführt, im Allge-
meinen aber {cheint er mehr des Unterhaltenden als des Ernft-
Der Derfaffer der „Familie Buchholz‘*

Rritifer zu einem Tantaliden-Gaftmahl einlus und fie mit ihren
eigenen Beiftesfindern abfpeifte. Er wies an ihren zahlreichen
Widerfprüchen -nacdh, daß fie faß ausnahmslos unter dem Ein-
drud des Augenblids ftänden, furz alfo daß diefer fubjektive
Eindruk in ihren Urtheilen vornehmlidh zur Geltung gelangte.

Es ift thatfächlih fo, daß man dasfelbe Bild je nach der
Stimmung, in der man fih Dbefindet, und aucdh je nacdh dem
Hintergrunde, dem Lichte, der Umgebung, der Gefellfihaft, in
 
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