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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 1.1896/​1897

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Nr. 38 (19. Juni 1897)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55168#0451

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Preis vierteljährlih 5.— Marfk.
SJür die ‚Mitglieder der Runft- und
Rünftler = Dereine 2,.— Marf.

Poftzeitungslifte Yır, 1174,



AUlle 8 Tage erfheint eine Nummer,
Anferate
foften 40 Pfennige für die 4 gefpaltene
2?onpareille=$exle.


MUr. 38.


I Inhegang,


in Rünftler, der den gegebenen architektonifchen Raum auch

” in der Empfindung anfdhaulicher Schwereverhältniffe durch

mächtige Anordnungen und Gruppirungen anusnußt, mact

diefen Raum auch als Maler zum Spiegel der großen Natur felbft.

Wir fühlen uns bhingeriffen, überwältigt durch Sdiefe Art von

Rompojition, weil es einfach die unwillfürlich befolgten Sefege
öex Yiatur felbft find, durch die der ‘äunftlex zu uns {pricht.

Yur wenn diefe Ranmansnußung am falfchen Orte gefehieht,
_ empfinden wir fie als „theatralifch‘, wie alles falfhe und Un-
echte. Eine Rompojitionsart, die für den Raum einer Lünette
das Natürliche und Gefekmäßige ift, paßt natürlich nicht für ein
fleineres Staffeleibildd und nur, weil halbfönnende Rünftler es
hierin vielfach verfehlten, find wir in das andere Ertrem gerathen
und fhun uns etwas daranuf zu Gute, wenn wir vieredige
Menfhen in vieredige Stuben auf vieredige Stühle febßen, und
jie im wvieredigen, im Dböchften falle dreiekigen Bebäuden fich
feelifch in einander vertiefen laffen. Dann werden wir fo vier-
‚ edig, daß wir barfüßige Menfchen die Füße nur nad) einwärts
feßen laffen, damit ja nicht etwa Sder profilirte rechte Winkel
etmwa ein ftumpfer oder fpiter werde. BGenug, die ganze Runft
bleibt im pythagoräifchen Lehrfaße ftehen, wahrfcheinlich, weil die
Rünftler nicht weit über diefen Lehrfats in der Vd)ule hinaus-
gefommen find, ;

BGroße Raummeilter wie Lionardo da Vinci, Michelangelo
und {päter die Zeitgenoffen Galiläi’s und Reppler’s wußten aber,
daß es außer rechten Winfeln und Rreifen aucd) noch Parabeln,
Hyperbeln, Spiralen, Ellipfen und eine unendliche Fülle von geo-
metrifhen und ftereometrifchen Figquren giebt, in denen fich in
Wirflichfeit das Formenleben der Pflanzen wie des menfchlichen
Rörpers ebenfo bewegt wie das Wanderleben öe1 Rometen und
Planeten,

— MUnd der Rünftler follte auf diefe organifdhen Formen der
Rraftorönung aller Dinge verzichten, bloß, weil ein unwiffender
Tagesfritifer die Yafe rümpft, wenn er etwas für ‚„„Fomponirt“
erflärt?

Nein, der Meifter der Runft und der Rritit desgleidhen weiß,
daß ein Mann wie Raffael architeftonifch, &. h. in allgemeineren
einfadheren ÖOrdnungsformen verfuhr, wo es galt, durh das
BGemälde das Bauwerf felbfit erft noch innerlidh auszubauen,
So ordnete er die „Schule von Athen‘“, die Schule der Heiligen,
Wenn er aber wie Meifter Lenbadh ein Portrait fchuf, fo. ver-

3ichtete er auf jede Anordnung, weldhe aus foldhen architektonifchen

Raumbedingungen fidh ergab. Dann feßte er feinen Rardinal
oder BGelehrten fo, daß BHand und Geficht
{hneidung oder einem Winfkel gefehen. wurden, der fo zu fagen.
alle Seiten des Modells in . OHarakteriftifcher. Weire enthüllte,

Auch das war ein „Romponiren‘, aber nacd) einem anderen
Hwede;
aber. nacd) einem
anderen BGefeß. Und wenn er eine Lünette oder das- Segment
eines Schwibbbogens Auszufüllen hatte, fo lernte er von Michel-
angelo den Reiz der verkürzten Formenüberfhneidungen ver-
werthen, er fah, wie man an einem einzigen Rörper in MUnten-
fiht und Dorderficht ein Schwergefek der Wirkung. und Schön-


Segment nur einen Blidausfehnitt hat,
unendlidhe Welten zu ergänzen im Stande ift,
gegen Staffeleibilder und Göttergefellfchaften bei Tifdhe,” wo das
menfchlidhe Leben oder das intimere. Zufammenleben, die dramatifche
Handlung und feelifche Mimit die Hauptfache war, fo bediente
er fih der organifhen Rompofition. Während bei der architef-
tonifhen Anordnung, rein mathematifdh ausgedrüct, , auch die
Phyfifalifchen Urformen der Bankfunft: Yogen, Pyramide, Winkel-
gerechtheit, durch die Mannigfaltigfeit des malerifhen. Schaffens
durchfcheinen, wirkt die organifche Rompofition weit zwanglofer,
weil in ihr alle jene unendlich Fomplizirteren Bewegungsformen
walten, die in den höheren mathematifchen Beftalten wie Parabeln,
Rurven aller Art und ihren. Rombinationen gegeben find. Weit
zwanglofer, weit weniger änßerlidh angeordnet erfcheint eine folche
Rompofition, denn fie /piegelt nur getren die größere Mannig-
faltigfeit des organifhen Lebens wieder, wenn man es für fich
allein betrachtet und ifolirt. YAber gerade ein foldhes Mild ift
erft recht . „„Fomponirt‘‘, Der Genius des Rünftlers wicat fich


Sormergänzung. Da wechfeln männlidhe und weibliche Waden
und Arme im fortwährenden Ausgleihe und Anfhauungsfontraft,
da wird von rechts und linfs und oben und unten in fhöner Ab-
wechfelung beguct, mwmas auch
fräftigend ift zu Schauen und zu Lieben, Da fteht die Lebendige
Bebärdenfpradhe Odramatifher Handlungen im fortwährend abe
gewogenen Anfchauungsgegenfaß im inneren Zufammenhang mit
 
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