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Deutsche Kunst: illustrirte Zeitschrift für das gesammte deutsche Kunstschaffen ; Centralorgan deutscher Kunst- u. Künstlervereine — 1.1896/​1897

DOI issue:
Nr. 48 (28. August 1897)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55168#0571

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Preis vierteljährlich 5,— Marfk,
ür die Mitglieder der Runft: und
Rünftler = Dereine 2.— Marfk,

Poftseitungslifte Yr, 1174,



AUlle 8 Tage erfheint eine Nummer,
Ynferate
Foften 40 Pfennige für die 4 gefpaltene
Nonpareille-Zeile.




Mr, 48,


1 31u}yrg.ing,




ent{predhend als eine nationale Runftübung 3zu Dbe-

%” trachten ift. dr fieghaftes Eindringen von Weiten
her ftieß in Deutfchland auf eine in der Entwidelung begriffene
volksthümlihe Runit, die fie durch technifche Neberlegenheit erdrückte,

Der Niedergang Ses nationalen Lebens diesfeits des Rheins
hatte fih langfam durh die ultramontane Politit der Hohen-
ftaufen, Surch die Decadence des Rlerus und des Ritterthums
vorbereitet.
vorzüge in einer gewiffen praftifchen Tüchtigfeit, die dem Hand-
werf mehr Derftändniß entgegenbringt «ls der hohen Runft, und
durch technifche Fertigkeit erfeßt, was ihr an fchöpferifcher Ein«
bildungsfraft abgeht. Charakteriftifh für den größeren Theil der
gothifchen Periode ift das Neberwiegen der Steinmeßfchule über
den individnell fchaffenden Rünftler. '

Das Wejen der frühgothifhen Bildnerei ift vornehmlih aus
ihrer Abhängigfeit von Sder Firchlihen Baukunft zu erkflären, Ddie
technifh vollendet, als ein in fih gefhloffener Ranon von
Franfreich her übernommen mwurde. Der Rampf mit der eine
beimifchen romanifhen Runftübung war ein -Ffurzer und mußte
zum Siege des vom Auslande importirten neten Stils führen.
Die Auflöfung der Wandflädhen in ein Spfiem aufwärts
{trebender Pfeiler, die Fühn gefhwungene Wölbung, die reiche
Chorbildung, die Fülle der. fhmücenden Fialen und Wimperge,
das reiche Maßwerk ‚der Feniter nahm die Phantafie unwider-
ftehlich gefangen. Dabei verlangte das fertig überfommene Syftem


au obhne eigene Zuthaten mechanifch übertragen. . Die frei
waltende Ornamentik des in innigem Zufammenhang mit dem
animalifchen Leben ftehenden romanifchen Stils macht der linearen
Zierkunft Plat, die das Degetative bevorzugt und nur gelegentlich
die Thierbildung in das Groteste umgeftaltet.

Das Statuarifche nimmt in der gothifhen Architektur eine
eigenartige. dienende Stellung ein. Es muß fih wohl 0der


jäule wird zwifchen Pfeilerkapitäl und Baldachin geftellt, ein
‚Theil des architektonifhen Ganzen, fie fhmiegt fih in die Nifdhen
und in die Spigbogen der Portale und verliert fo ihre felbftändige
Bedeutung. Wo es fih um Gruppenbildung handelt, wird fie
von einem einengenden nadh oben ftrebenden Rahmen eingefchloffen,
— fie Baut fiqh auf, fratt fih frei zu entfalten. , Dazu Fommt



noch ein beftimmter Cyflen bildender Ranon. Ein fertiger Dom
ift mit feiner ganzen bildnerifchen, ornamentalen und malerifchen
YAusftattung ein na beftimmten Tabulaturen ausgebildeter
Meiftergefang, troß allen fheinbaren Reichthums der Erfindung
an überlieferte Yormen gebunden, eine leicht verftändlidhe, durch
Fonventionelle Spmbolik gebundene Sprache redend, ein Fünftlerifches
Dolapük, das die nationalen Regungen auffangt. Die Rünftler-
namen verfhwinden, an ihre Stelle treten die Merkmale der
Bauhütten, die Steinmeßzeichen. '

Und doch bricht fihH bald der deutfhe Jndividnalismus
Bahn, durh das gefteigerte religiöfe Gefühl bedinat. Eigen-
artiges Empfinden beginnt die Fonventionell überfommenen Formen
zu durchöringen bis in den architeftonifch erftarrten Faltenwurf
hinein. Das Verftändnifß des YNadten, das fich im romanifdhen
Stil zu regen beganı, ift;freilidy verloren gegangen und dr
{teif fallenden Gewandung gewichen, aber ein feltfames Bewegen
geht. durch die Glieder und prägt fihH in der Bekfleidung aus.
Die BGeftalten reden und fchmiegen fich wie In efftatifcher Der-
zücnnag, dem feitlih geneigten Baupte entfpricht die wiegende
Hüfte, und die gebaufchten -und gefnitterten. Stoffe folgen dem
unbeholfen angedeuteten Empfindungszuge. Bisweilen fcheint es,
als mwollte der Rünftler . feine Schöpfungen mit feelifhem Leben
erfüllen, für das er Teinen . anderen Ausdruk findet, als ein
Tiebenswürdiges typifches Lächeln, das an die ardhaifche griechifche
Sfulpiur erinnert und doch fo unendlich von ihr verfchieden Yt,
weil es mit einem gewiffen Sentiment, mit echt germanifcdher
nnigkeit verfeßt erfcheint. ;


Cyflen, erhalten eine nationale Umbildung. . Unterworfene
Synagoge und triumphirende Rirche, die thörichten Jungfranen
und - die freien Rünfte, Lafter und Tugenden, Sibyllen und
Propheten, die Monate und die Zeihen des Thierkreifes, die
ganze Anfchauungs- und Geifteswelt des Mittelalters wird in
den Bereich des bildnerifhen Rirdhenfhmuces gezogen und mit
germanifcher Meyftif durchfeßt, 2 N

Bleichseitig macht fich überall die urdeutfche Decentralifirung
bemerfbar. Man Ffann mit Sicherheit fächfifhe, fOhwäbifche,
xheinifche. Werkftätten unterfheiden. Jn Süddeutfhland bürgerlich
gemüthvoll, in Thüringen naturaliftifh, nimmt die Sfulptiur
monumentalen
Charalkter an. ‚ | '

; Yieben der Empfindung Fommt dann aud) allmälig. ein
 
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