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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Ein neuer Griffelkunst-Poet: zu Alexander Friedrichs "Faust II"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0030

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formtcn, ohne Eingießiing in Wirklichkeitsformen. Die Bewegungsgefühle dcr
Linien wie die Assoziationen sind ebenso kühn wie sicher beherrscht.

Friedrichs Blätter sind natürlich nicht etwa Illustrationen znin zweiten
Faustteil. Nicht etwa Bilder, die dessen Text „erläutern" oder gar „verdeutlichen"
sollcn. Aus irgendwelchen paar Zeilen hakt sich eine Vorstellung als Samen-
korn in dieses Gehirn, und treibt. Das dem Meere abgewonncne Land —
da breitet sich's hinter die Dünen. Ferne, in seinem Zentrum kräuselt sich wie
aus Pilzen und Flechten, übcrkuppclt, übertürmt sich die Menschenstadt, und wie
mit ungeheuren Radspeichcn drcht sich um sie, Felder an Felder, die Kultur.
Aber immer belebt sich das Irdische, ich kann auch sagen: bewegt es sich. Man
blicke auf dieses Hochgebirg — es ist noch nicht erstarrt, es ist im Er-
starrcn, und des Künstlers unü unserm Auge zeigt es den Gletscher, daß er
fließt. Immcr ist bei Friedrich „höherer Orduungen Sinn" dabei, wie dicser
Aberberg da über den Bergen, unmöglich als Berg, unmöglich als Wolke, und
doch übcrzeugend für dcn, der das Gefühl „Hochgebirge" kennt — mit seincm
Emporheben über alles, auch über den Gipfel noch hinauf. Das Wachsenmachen
über irdische, bcsonders über mcnschliche Verhältnisse hinaus ist in diesem
Iyklus häufig, aber denn doch nicht als Manier. Das Laboratorium,
in dem Wagner am Homunkulus braut. Wie in dem dunkeln Treiben
das werdende Leben zum Spuken kommt, dehnen alle Retorten ihre Glieder,
schrullig, närrisch, spinnisch, unheimlich, und wächst irgend etwas rings zu
gcisterhaftem Riesen-Gitter-Gcripp. Das Steigcrn der Architcktur zu poetischem
Ausdruck ist eine Stärke des „neuen Mannes". Er erreicht sie durchaus nicht
nur durch ein Vergrößern des Gegensatzes zwischen Bau und Bewohncr,
obgleich er dieses einfachste Mittel des Vergrößerns viel benützt. Er erreicht
sie auch durch ein höchst feinfühliges zeichnerisches nnd malerisches Abwandcln,
Stimmen von Aufgabe zu Aufgabe bei der Durchführung. Auch die Körperlich-
kcit der Dinge wandelt sich unter diesem fühlenden Schauer: hier scheinen die
Bögen gewachsner Fels, dort nur Strahlenbündel Lichts. Manchen Stimmungen
wcrdcn trotz aller expressionistischen „Erziehung" auch heute nur wenige folgen
können, so bci dem Blatt „Auf dem Vorgebirg", wo die Kampflust aus
dem Heerbann mit Lichtschwertern nach den Seiten zuckt. Andere wieder sind
ganz allgemcinverständlich schön, wie die Landschaften „Arkadien" und das
traumhafte „M onserrat".

Ganz fcrn liegt unscrm Künstler-Poetcn das Angewisse, das jetzt bci so vielen
ü lu moäs ist, das Schiefe, Schwankende, Knickige, Zitterige, durch das sie nicht
nur, wo's hingehört, sondcrn mit immer wiederholter Manier die Phantasie
anregen wollcn. Friedrich hat überall den klaren, festen, scharfen Strich und
cine so cntschicdcnc Formgebung, daß sie gelegentlich zum Kubismus hinneigch
Seine Kunst ist überhaupt alles andere eher als weichlich. Auch ein Grund,
ihm Glück auf dcn Wcg zu wünschen.

Wir haben mit diesem Griffelkunst-Poeten zu den allezeit Wenigen einen
mehr, dcr nicht nur aus Blumenfcldern Kopfkissenmustcr und, wie der Mann
im Witzblatt, aus Sonnenuntergängen Bettvorleger macht, sondern der aus
drängenden Gesichtcn einer suchenden Seele Ausdruck, Mitteilung, Sprache
des Unaussprechlichcn schafft. Bei der Wahl der Wörter für diese Sprache ist
eine gewissc Abhängigkeit von dem, was den Vielen gehört, von „Richtungen"
noch unvcrkennbar. Hat Friedrich das Eigene, das wir in ihm zu sehn
glauben, so wird er in den Ausdrucksmitteln noch freier werden, als er schon
ist. Mich sollt' es nicht wundern, wenn ihn gerade dieses Freiwerden weniger
„modern" erscheinen ließe. A
 
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