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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0036

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sie für die großen Fragen unsres
Kultur-Denkens nirgendwo. Dut-
zcnde von großen Zeitungen und Zeit-
schriften, die sich umAberschauenmühn,
kann der Viclbeschäftigte ja nicht lesen.
Und die Aufgabe ist doch, und in
stark bewegten Zeiten erst recht: zu
Gedanken, die alle Gebildcten angchn,
den Weg schnell zu weisen. Zugleich
müssen wir bei jenem „Abkürzen" mit-
helfen, das die mit jeder Volksvermeh-
rung sich mitvermchrende Last auf dem
Nücken dcr LNenschheit erträglich hal-
ten muß.

Könnte unsre Rundschau da hel-
fen? Offen gesprochen: wir haben's
schon mehrmals vcrsucht, aber das
wissen wir sehr wohl: zustande ge-
bracht haben wir's auch nicht. Fch
möchte die Mitarbeiter wie die
Leser nochmals an das Ziel erin-
nern. Pielleicht läßt es sich nie er-
reichen, aber die Sachc ist doch wirk-
lich wichtig genug, um sich wenigstens
um den Dersuch zu mühn. A

Zum Literatur-ExpressionismuS

cr Vorwurf gegen die Älteren, er-
hoben von dcn Iüngsten, lautct: si«
sind die Sklaven der Wirklichkeit, an
sie gekxttet durch ihr schwächliches Hin-
horchcn und Hinstarren, das sic brau-
chen, um sie nachahmen oder schildcrn
zu können. Abhängig vom Eindruck,
„Impressionisten", haben sie sich dcr
edelsten Rechte des Dichters als des
Sehers und Propheten begeben. Las-
sen wir diesmal uncrörtert, ob Hin-
gabe an die Wirklichkeit, kluge und
übcrlcgene Darstellung dcr uns um-
gebendcn Welt schwächlich ist, odcr ob
sie auch mit Kraft und Haltung sich
verbinden kann. Ist aber „Expres-
sionismus" unabhängig, erfüllt e r
!die „höchste Sendung" des Schrifttums?
Allzu viele Expressionistcn bezcugen
mir laut das Gcgenteil. Laut sind sie,
aber nicht unmittelbar. Freilich ge-
ben sie nicht Eindrückc der Sinne und
dcs aufnehmcnden Wclt- und Lebcns-
verständnisses wieder, aber ihr Schaf-
fen entsproßt ciner „Impressioniertheit"
von der Welt, die tiefere Sklaverei
ahnen läßt, als sie jemals über Arno
Holz nnd Gerhart Hauptmann, Zola
und Björnson waltete. Auf ihnen
lastet, ihre Schwäche drückt nie-

der die Bürde dieses Lebens, das in
der Tat schwer ist und nur von starken
Geistern innerlich überwunden wird.
Sie befreien sich nicht üurch ein Aber°
winden und Hinausstellen der
Eindrücke, sondern sie reagieren durchi
den Schrei, durch dcn wilden, un-
artikulierten, protestlerischen Schrei.
Das ist der „Expressionismus", der im
tiefsten Impressionismus ist, Folge des
unabwehrbaren Eindrucks der Welt auf
den sehnsüchtig-hilflosen Menschen. Und
selbst halb-mittelbar sind noch viele von
ihnen Impressionisten, geben sie doch
immer noch Wirklichkeit wieder — seht
Werfel, Schickele, Hasenclever —, nur
in ungeordneten Bruchstücken. Wo
Schnitzler, Kehserling, Thomas Mann
auch die Abfolge der Ereignisse, die
Anordnung der Charakterteile, die Ver»
knüpfung der Begebenheiten nach Ar-
sache und Folge dcm Vorbild der Wirk-
lichkeit entsprechend botcn, glauben sie
der Wirklichkeit zu entrinnen, wenn sie
Bruchstücke eben dieser Wirklichkeit un-
geordnet herumwerfen,

uf die ablehnende Daltung so
vieler Kritiker erwidern die Ex-
pressionisten: „Nichts bcgreiflicher als
dies! Von jcher haben die Alternden
der Iugend Mißtrauen und Verständ-
nislosigkeit entgegengcbracht. Die Ge-
schichte wird andcrs richten als das noch
mächtige, schon abtretende Geschlecht.
»Wir sind dran!«" Nun sind es, zu-
nächst einmal, nicht nur Altcrnde und
Alternden Ahnliche, dic ben Expres-
sionismus ablehnen, sondern auch sehr
frische Iugend ist dabei. Aber dies da-
hingestellt — wcr ist „die Geschichte"?
And woran erkennen wir die bleibend
Großen? An dcr Millioncnzahl ihrcr
Lescr! Das klingt veräußerlichcnd, ma-
terialistisch, und dennoch: es ist buch-
stäblich wahr. Nicht die Abereinstim-
mung der Urteilsfähigen, nicht ge-
heimnisvolle Spätwirkungen entschei-
den letztlich, sondern daß sich Iahr-
zehnte, Iahrhunderte hindurch immer
wieder Menschen finden, die bestimmte
Werke in sich aufnehmen mögen und
von ihnen zeugen. In dem odcr jenem
Wortsinn: die Aberzeitlichkeit
des Werkes entscheidet, denn das dcr
Zcit Vcrhaftcte wird bald unverständ-
lich und kann nicht mehr gelesen,
 
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