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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1918)
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Fischer, Aloys: Georg Simmel: (geb. 1. März 1856, gest. 27. September 1918)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0067

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Wertes und die Typen der menschlichen Geistigkeit.* Man hat bei der Be-
urteilnng dieser nur in bedingtem Maß als historisch zu bezeichnenden Arbeiten
mit Recht geltend gemacht, daß weniger Lesefrnchte und Zusammenfassnngen
aus den Werken der behandelten Geister, als Simmels Gedanken über sie
nnd ihre Problematik den breiten Ranm einnehmen. Meinte man eine solche
Beurteilung im Sinne eines Tadels, so verfehlt sie ihren Gegenstand. Denn
das, was andere sogenannte objektiv-geschichtliche Darstellnngen als einzigen
Jnhalt in breiter Ansführlichkeit bieten, fehlte bei Simmel nicht, aber es war
nur Stoff und Voraussetzung für die philosophische Erkenntnis, für die Analyse
des Menschen im Sinne W. Diltheys. Alle Wertgebiete, das ethische, östhetische,
religiöse, hat Simmel in großen repräsentativen Geistern durchfühlt nnd so die
Wirklichkeit der Kultnr, ihre Quellen nnd Träger wie ihre nberpersönlichen
Erzeugnisse und Einigungen immer wieder festgehalten. Daß ihm die Analhse
der wesensverschiedenen Thpen des Philosophen, des Künstlers und des Heiligen
fast gleich gut gelang, ist das Auszeichnende seiner Art. Die Geistigkeit des
Philosophen kannte er aus sich selbst, das Wesen der Religion entwickelte er
— ich möchte sagen als seinen Gegenpol, sicher nicht ohne die Nachwirkungen
seincr Ingend und des Glaubenslebens seines Stammes. Wie meisterhaft ihm
aber anch die Analhse des Künstlers gelang, dafür möchte ich auf die Bücher
über Gocthe und Rembrandt als Belege verweisen. Sein letztes Werk über
Rembrandt hat die Knnstgelehrten im engeren Sinn kanm weniger belehrt als
die übrige Welt. Und wenn es — wie wiederholt ausgesprochen worden ist —
verwunderlich erscheint, daß ein Mann nichtgermanischen Blutes die bisher
tiefsten Einsichten in die germanische Kunstweise fand, so möchte ich dazn nur
bemerken, daß alles Erkennen ein Unterschiedensein, ein Sichunterscheiden vor-
aussetzt bezw. einschließt, und daß eben deshalb der gern scheel angesehene
semitische Denker den dcutschen Geist in Kunst rurd Philosophie leichter zu
umschreiben vermochte als andere, die in ihm selbst leben und weben. Bei
seiner ganzen Arbeit der qualitativen Analyse der Kultur ergab sich als der
Weisheit letzter Schluß — das meinten vielleicht jene, die seinem Denken Rela-
tivismus vorwarfen —, daß die Thpen der Wcltanschaunng mit sachlicher nnd
pshchologischer Notwendigkeit in Typen der Geistigkeit verwnrzelt sind. Da
diese weder aufeinander rückführbar noch ihre Nnterschiede — in einem Aber-
geist etwa — aufgehoben werden können, bleibt als Kriterium der Wahrheit von
Philosophien nur ihre Stilreinheit.

Der Grund, weshalb Georg Simmel so viel lebendiger und fruchtbarer in
das Geistesleben der Zeit einwirkte und so viel weniger als akademischer Lehrer
„Schule machte" — er ist auch erst im Alter von 37 Iahren auf eine ordentliche
öffentliche Lehrkanzel bernfen wordcn —, ist in der steten Teilnahme an
den geistigen, sozialen und politischen Fragen nnd Nöten der Zeit zu suchen.
Für ihn war Philosophieren nicht eine gelehrte Beschaftignng prit Platon, Kant,
Hegel, nicht die selbstgerechte und selbstgenügsame Durchklügelung schwieriger

* Hierher gehören die Schriften, in denen das Wesen des Philosophen, des
Künstlers, des Heiligen, oder objektiv gewendet Wissenschaft, Kunst, Religion
zergliedert werden. Außer der tiefschürfenden, aber weniger auf die schöpferische
Persönlichkeit als die Sachlichkcit des Problcms selbst eingestellten kleinen Schrift
„Hauptproblcme der Philosophie" (Sammlung Göschen Nr. 300) rechne ich hierher
die (6 Vorlesungen über Kant (Berlin (9(0), den Vortragszhklus übcr Schopen-
hauer und Nietzsche ((907), Goethe ((908), Rembrandt ((9(7), „Einleitung in die
Moralwissenschaften" ((892), „Religion" (in der Sammlnng: Die Gesellschaft).
Auch einzelne Vorträge nnd Aufsätze nehmen znm ethischen („Das individnclle
Gesetz." Logos (9(P und ästhetischen Problem grnndsätzlich Stellung oder versuchcn
von einer markanten Gestalt bezw. einem bedentenden Werk der Gegenwart aus
zu letzten Aufhellungen des Wcrtlebens vorzudringen. In dieser Hinsicht waren
vor allem seine Vorträge vor größeren Kreisen über Bergson, Stefan George usw.
bedeutsam und wirkungsvoll.

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