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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0084

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ren? Will es uns zuinuten, ein solches
sinnloses Verschwierigen der Nationali-
tätenfrage dort als gerecht zu fordern?
Und glaubt das Blatt seiner Partei
durch derlei Purzelbäume zu dienen?

T

Stirner als Verkünder eines deutschen
Ostens

ichtes politisches Testament an die
Deutschen hat man als ein Doku-
ment staatsmännischer Knhnheit und
Tiefe in diesem Krieg wieder „ausge-
grabcn". Auch auf Äußernngen von
Marx und Lngels wurde hingewiesen,
die frci von jedem Parteidoktrinaris-
mus Fragen, die der Weltkrieg auf-
gerollt hat, mit erfrischend-realpoliti-
scher Nüchtcrnheit beleuchten. Ziemlich
unbckannt aber dürfte es sein, daß ein
andcrcr, von Hcgel ausgegangener Den-
ker, der Verfasser des „Einzigen", Max
Stirner, in einem dcm Iournal des
österr. Lloyd vor genan 70 Iah-
ren gelieferten Beitrag die östliche
Mission dcr Deutschen sich so vorge-
stcllt hat:

„Daß die Landkarte Europas in
nahcr Zukunft cin anderes Aussehen
habcn wird, als sie seit der diploma-
tischen Einteilung dieses Weltteils ge-
habt hat, unterliegt keinem Zweifel,
die Schöpfnngen der Diplomatie gehen
ihrem Untergange entgegen. Welch«
nenen Gestaltungen sich aber bilden
und durch welchen Einteilungsgrund
sie bestimmt werden, das ist vor der
Hand noch eine Sache der Vermutung
vder Prophetie. Indes sind es doch
wiedernm die Menschen, die nach ihren
Gedanken und Interessen die künfti-
gen Verhältnisse vorbereiten und dar-
anf Hinwirken, daß sie so ausfallen,
wie sie ihnen entweder am vernünf-
tigsten oder am zuiräglichsten und wün-
schenswertesten erscheinen.

Was Europa betrifft, so muß Ruß-
land von dcmselbcn geschieden werdcn.
Rußland, ein ausgesprochenes Flach-
land, charakterisiert durch die Wolga,
welchc dcm asialischcn Steppengebiet
zuströmt, gehört nicht zum eigcntlichen
Europa und muß als ein besonderes
Mittelstück zwischen Enropa und Asien
angesehen werden. In dem eigentlichen
Europa licgt Dcutschland in dcr Mitte
und darum kommt ihm auch das Mitt-

leramr zu und zwar ausdrücklich nicht
ein Herrschertum, sondern nur ern
Mittleramt, welches sich nach dcn Ideen
eines mehr entwickelten Bewußtseins
gestalten muß ... Dieses Deutschland
verbindet sich nach Südosten hin, dem
Laufe der Donau folgend, mit all den
Völkern und Stämmen, welche im Ge-
biet dieses Stromes wohnen, von Wien
aus bis zum Schwarzen Meere. Da
steht also Ssterreich an der Spitze eines
großen Bundesstaates der Donauvölker.
Die sind alle an Osterreich gewiesen,
weil jedes einzeln für sich allein kein
besondcrcs Reich bildcn kann und weil
sie mit der Iivilisation des Westens
nur durch österreich in Vcrbindung
stehen. Sie werden sich an Osterrcich
anschließen und streng zusammenhalten,
nachdcm die beschränkten nnd verwerf-
lichen Ideen der Bcherrschung des cinen
Volkes durch das andere abgetan sind,
und jeder Teil sich in seiner Art und
und Weise frei entfalten kann... Die-
ser Vergesellschaftung der Donauvölker,
welche durch österreich mittelbar mit
dem zesamten Deutschland verbunden
sind, wird näch Nordosten hin ein bal-
tischer Bruderstaar entsprechen. Denn
soweit die baltische Küste deutsch ist
— und das reicht nördlich bis zur
Narwa —, so weit sind auch die Hinter-
länder auf eine engere Union mit dem
nordöstlichen Deurschland, d. h. mit
Preußen hingewiesen, wodurch alleiu
ihnen die Verbiichung mit der Westlichen
Zivilisation eröffnel wird ... Zwischen
Düna, Niemen, Weichsel, Oder und den
Landschaften der mittleren und unteren
Elbe gibt es nirgends eine erhebliche
Naturgrenze. Völker und Staatengren-
zen haben sich auf dicsem Gebiet uu-
aufhörlich verrückt und verschoben, fort-
während hat man hier freundlich oder
feindlich miteinander zn fchaffen ge-
habt, und alles ift hier aufeinander
hingewiesen. Daraus muß dann ein
baltischcr Bundesstaat hervorgehen, be-
stchend aus Preußen, Polen, Litauen,
Kurland und Livland, ein Bundesstaat,
der sich durch Preußen mkttelbar an
das gefamte Deutschland anschließen
wird... Es hanvelt sich darum, ob
Asien europäisch oder Europa asiatisch
werden soll. Und damit dieses letztere
nicht geschehe, darf es kein Panslawen-
reich geben, sondern müssen sich die
 
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