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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1918)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Das deutsche Bewußtsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0096

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drüben. Ilnd darauf gründen wir Hoffnung, daranf allein. Ein Volk,
das sich ins fünfte Iahr gegen mehr als die halbe Welt hielt, erträgt anf
die Dauer kein Ioch, das wißt ihr drüben selber, denn wie ihr euch auch
anstellt, als verachtetet ihr uns, ihr habt jetzt mehr Respekt vor unsrer Kraft
als je. Wers mit dem Völkerbund irgendwie ernst nimmt drüben, der
muß wünschen, daß wir auch dabei nicht nur sein sollen, sondern auch
sein wollen.

Hv ls Politiker freilich waren wir Schnlbuben gegen euch. Das wird nicht
^dadurch bewiesen, daß uns die Gaunergesinnung überraschte, mit der man
von England aus sofort mit Kriegsbeginn den Krieg als Geschäft einrichtete,
oder die Ruchlosigkeit, mit der man ans Aushungern unserer Frauen und
Kinder ging, oder die Schamlosigkeit, mit der man zweierlei Maß gebrauchte,
oder der Frevel am heiligen Geist, mit dem man bis zu den Ministersesseln
hinauf zum Zweck der Verhetzung vor der Welt unser ganzes Volk ver--
leumdete. Da wird sich nicht viel ändern lassen, denn vielen von uns wäre
das Leben nach den gegenwärtig erfolgreicheren Methoden nichts wert.
Aber wir haben versäumt, deu Suggerierkrieg rechtzeitig und kräftig zu
bekämpfen. Wir waren ferner gerade darin schlechte politische Praktiker, daß
wir uns vor Ansteckung von außen her nicht entschieden genug schützten, daß
wir bei einer Minderzahl von uns die englische Moral hereinließen. Wir
haben, und das ist das schlimmste, versäumt, zu einer Zeit, da wir als
Sieger dastanden, das deutsche Leitbild für Völkerbefreiung und Völker-
bund den andern werbend herauszustellen und gleichzeitig den deutschen
Willen zu bekräftigen durch die Tat. Daß wir das verjsäumteu, bedeutet:
weil doch immer so und so viel unter uns deutsche Politik auf englisch
treiben wollten, haben wir die größte Gelegenheit unsrer bisherigen Ge-
schichte verpaßt. Die Gedanken, die Wilson auf seinem Völkerbundplakat
leuchten ließ, waren sie denn etwa neu, waren sie etwa nur sein eigen,
waren sie nicht allergrößtenteils längst schon deutsch? Gedanken unsrer
Geistigen waren sie, ja, sie waren, sofern man bei Volksmassen überhaupt
von Denken reden kann: Gedanken unsrer eignen Mehrheiten. Nun eine
erste Tat, schnell eine erste, die Grundbau zu strahlendem Hochbau war.
Diese erste bei uns und dann die Taten gleichen Geistes sür die andern
ringsum! Ach nein, wir hockten in Parlamenten und Kommissionen, be-
rieten und feilschten schon beim preußischen Wahlrecht: hier ein Zusatz-
stimmchen, da ein Konzessiönlein, dort ein Sicherungchen, verheimlichten
zur Stimmungmache hier, verkleisterten dort, zankten uns, wer sich Vater-
landsfreund nennen dürfte, machten hier flau und plusterten dort auf.
Die Mehrheit derer, die mitentschieden, begriff überhaupt nicht die Macht
des Gedankens, „und während er längst erstanden, hüteten sie sein Grab".
Begriff nicht, daß die Idee Macht hat, auch Körper zu bewegen, auch
Körper als Goldströme, als Heere und Flotten und als Länder. Das
„Volk der Dichter und Denker" verunglückte als Politiker, weil es der
Idee gegenüber „praktisch" sein wollte.

Hsvrieviel bei dieser größten Möglichkeit der Geschichte von unsselber
'^verpfuscht ist, das sollten wir so schmerzhaft wie möglich
erkennen. Ie mehr uns von unsern Fehlern bewußt wird, desto mehr von
Gerechtigkeit werden wir in unserm Schicksal fühlen, denn gerade
der Gedanke „deine Schuld ist dabei" kann es uns tragen helfen. Wir

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