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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 4 (2. Novembereft 1918)
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Schumann, Wolfgang: Das Erwachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0133

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Männer, dencn ihr bisher als dic höchsten Autoritäten geglaubt, sic ver-
langen das, denn gerade die Heeresleitung hat ja diese Regierung als Helferin
aus der Not gerufen! Geht allen Anfeindnngen und Verdächtignngen dieser
Regierung ans dcm Wege. Nicht aus Laune und Abermut streicht sie einige
Verfassungsparagraphen, und wenn Prinz Max seine Gegenzeichnung sogar
unter eine Abdankungsurkunde setzen sollte, so zweifelt nicht, daß er gewaltigstem
Weltgeschichtlichem Zwange, nicht „demokratischen Herrschgelüsten" folgt. Aber-
menschlich fast ist die Aufgabe dicser Regierung. Kaum daß sie die Ge-
schäftsführung übernommen hat, so sieht sie sich von der Obersten Heeres-
leitung zu einem Waffcnstillstandsangebot gedrängt, dessen Folgen unübersehbar
sind und das einige der aufrichtigsten Friedensfreunde für einen falschen Weg
zum crsehnten Ziele erklärcn. Noch im Sicheinrichten begriffen, muß sie schon
das papicrne Gerüst sorgsam prüfen und umbauen^ von dem sie getragen,
aber einstweilen nicht sicher getragen wird, die Verfassung. Die umfassende
geistige Vorarbeit der Deutschen links ermöglicht cs, in wenigen Tagen das
Dringendste fertigzustellen, nun steht man wenigstens fest auf den Füßen
dem In- uud dem Auslande gegenübcr. Aber auch diese Arbeit läuft fort
wie die noch verantwortungsvollere der Verhandlungen mit Washington. And
schou tauchen neue Aufgaben auf. Zwar, die in alledem nur ein Sichausleben
des Machthungers doktrinärer Demokraten und Pazifisten erblicken, kann man
fürs erste gewähren lassen. Aber mächtigere drohen von rechts; und auf der
andern Seite arbciten, untcrstützt von Moskau, zäh mit den großen Wortcn
sie, die alles, die mehr versprechen, als eine besonnene Volksregiernng ver-
sprechen kann. Sie rechnen auf das Heer, das, wie sie meinen, nach russischem
nnd neuerdings nach österrcichischem Mnstcr urit dem Tagc des Waffen-
stillstandes die Front verlassen werde. Wer will bchauptcn, daß sie sich
völlig verrechnen? Ludendorffs Rücktritt hat, so scheint es, die Lharybdcn-
Gefahr gemindert; die Schlla aber droht noch und lauter als vorher. Wollen
wir das Chaos oder die Ordnung, das ist jetzt die Frage! Wenn die deutsche
Volksregierung nun dem Feinde Landgebiet abtritt, zum Wiederaufbau Bel-
giens beiträgt, die deutsche Wehrmacht entscheidcnd mindert, wenn sie privaten
Vesitz, privates Einkommcn in unerwartetem Maße hcranzieht, Zivileinquar-
tierungen anordnet und alte Rechte aller Art entwertet, so wollcn wir dessen
eingedenk sein, daß nur cin wahres Wunder uns vier Iahre lang vor Schlim-
merem, weit Schlimmerem bcwahrt hat, vor dcm Fcinde im Land. And daß
dies allcs über nns kommt, weil nur solche Mittel uns vor dem Grauen des
Grauens, dem Bürgcrkriege, bewahren können. Diescn Weg, so oder so,
wird die dcntsche Volksregicrung beschreiten müssen. Sie darf vcrlangen,
daß wir mit ihr gehen. Nicht alle mit Freude, ganz sicher nicht, aber ent -
schlossen, auch wenn uns Sorge bcdrängt und manches im Einzelnen
nicht nrr wider unsre Neigungen, sondern sogar wider unsre Villigung geht.
Die Sammlung der Kraft gebietet es, daß wir jetzt unsre eignen Diktatorcn
sein müsscn.

So ist die Wirklichkeit, zu der es für viele aus vierjährigcm, ja aus vierzig-
jährigcm Tranm zu erwachen gilt. Oder wäre es beglückender, wärc es
würdiger, dcm Traum bis zum Tode anzuhangen? Sollten wir das Äußerste
und zuletzt des Volkes Dasein und Lebcn einsetzen für alles das, was an°
schcincnd nun aufgegeben wird? Die Frage ist ernst und spukt nicht nur in
hirnlosen Köpfen und fühllosen Herzen. „Nichtswürdig ist die Nation..." Aber
ist das ehrlos, gegen die Gewalt zehnfacher Abermacht die Gerechtigkeit anzurufen?
Für Kind und Kindeskindcr vor aussichtslosem Kampfe das letzte zu erhalten,
das Leben aus den Ruinen blühcn machen kann? Nicht Ehrsinn, soudern
Wahnsinn ist es, einem Volk dcn Selbstmord zuzumuten. Was dunkle Ge°
walten und lastender Druck in der Brust des Einzclnen an Entschlüssen hcrvor-
treiben, ist seine Sache. Ein Millionenvolk abcr der Geborenen und dcrer,
die noch nicht geboren sind — wer hat das Recht, seine Ehre in seiner Opferung
zn sehn?
 
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