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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1918)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0170

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ließ den geistigen Kriegsschauplatz den Feinden, und sie besetzten ihn
im wesentlichen mit der veralteten Idee des kapltalistischen Liberalismus.
Anter dieser, deren Verlogenheit sich schon darin beurkundete, daß das
zarische Rußland unter ihr mitfocht, die doch aber wenigstens eine Idee
war, an die man sein Gemüt über den nächsten Machtegoismus hinaus
hängen kounte, gewannen unsre Feinde die Völker und zersetzten die
Staatengebilde unsrer Bundesgenossen uud schließlich unser eigenes. Ob
das bedauerlich ist oder nicht, ob der Äbergang zu neuer Ordnung besser
unter stärkerer Schonung der bestehenden Autoritäten vor sich gegangen
wäre oder nicht, das ist eine heute praktisch erledigte Frage für spätere
Geschichtsforscher, welche die Folgen keunen und übersehen werden. Das
praktisch allein Wichtige und — das Große ist, daß unter der so sich zer°
setzendeu Äberschicht das neue Organisationsideal der sozialen Befreiung
herangewachsen war. Und die heute allein wichtige Frage ist die, ob dies
Ideal außer der Bewährung nach inuen, von der wir sprachen, uach außen
hin die gcistige Kraft besitzen wird, die unsrer ideenfeindlichen Diplomatie
fehlte. Wird es dem unter uns siegreich gewordenen sozialistischen Ideal
gelingen, die kapitalistisch-imperialistische Kampsfront, die gegen uns steht
und uns mit Sklaverei bedroht, gleichfalls zu zersetzen? Vud damit nicht
nur uns zu retten, sondern auch Europa? Damit kommen wir zür andern
Seite der Frage.

^^enn unsre Rettung ist zugleich die Rettung Europas. So steht es eiumal.
-^Gelingt es den Feinden, uns die uugeheuren Kriegsentschädigungen auf»
zulasten, die sie unter verlogenen Vorwänden von uns verlaugen, gelingt
es ihnen, uns Bedingungen aufzuerlegen, durch die sie uns einseitig
wehrlos halten, uns verkleinen, zerteilen, zerstücken, so bedeutet das eiu
Iahrhundert des Unheils nicht nur für uns. Selbst wenn sie es fertig
bringen sollten, uns selbst wehrlos zu halten — was schon recht schwer
sein würde — so führt es die innere Konsequenz solcher Maßregeln und
Entwicklungen mit sich, daß die also um sich greisenden Imperien sich gegen-
seitig angreifen und zerfleischen. Davor kaun alsdann schlechterdings uichts
bewahren. Und auf keinen Fall käme nun die Zeit eines echten Friedens.

Anders, wenn die Sozialdemokratie die Kraft bewährt, das Suggerier-,
Eroberungs-- und Verteilungs-Syndikat der Entente innerlich umzuwandeln,
oder doch es von innen her zu zwingen, die von ihm gegen uns ausgegrbene
Losung der Selbstbestimmung der Völker selber ernst zu nehmen. Iu diesem
Fall kann sie dazu führen, von uuten her und aus freiwilligen Bindungen
und Trennungen der Völker den Bau der Vereinigten Staaten von Luropa
aufzurichten. Der könnte dann sehr fest werden, zumal, wenn er elastisch
wäre. Möge diese Arbeit der Sozialdemokratie bereits auf die Friedens-
verhandlungen wirken!

Uns aber ginge damit eine Iahrhundertweissagung in annähernde
Erfüllung, der Traum Fichtes von der Befreiung des deutschen Volkes
durch innere Umwandlung vou unten her. Denn die gewöhnliche Betrach-
tung, als sei die Prophetie seiner mächtigen „Reden" in den Freiheits-
kriegen vor hundert Iahren in Erfüllung gegangen, ist falsch. Ieder, der
die „Reden'' nicht nur lobt, soudern auch keunt, muß es wissen. Ihr«
Erfüllung steht noch aus.

<7^>un sind die Waffenstillstandsbedingungen da. Sie sind nicht Bediu-
^k^gungen eines ehrlichen, starken Siegers, sondern Bemühungen eines
Schwächeren, der den Stärkeren überlistet hat und ihn nun, da er wehrlos

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