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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Was ist geschehen? Was muß geschehen?: Die Revolution
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0174

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Erden" war. Es war einer sehr großen Zahl von Deutschen so in Fleisch
und Blut übergegangen, daß es ohne eigentliche Gewaltanwendung auf»
rechterhalten werden konnte. Wie das vor sich ging? Alle langdauernde
Herrschaft beruht letzten Endes und muß beruhen auf geistiger Macht:
nur also, wenn es gelang, das Volk zufrieden zu erhalten, konnte das
System bleiben. Also erfüllte man immerhin so viele seiner Wünsche,
daß es selbst glaubte, der bestshende Zustand sei der beste, und wandte alle
Mittel der Äberredung uud Beeinflussung iu der Schule, dem Heere, der
Presse, dem Parlament, den öffentlichen Versammlungeu an, um diesen
seinen Glauben zu kräftigen. Es gelang weiterhin, einen großen Teil
der kleineren Besitzenden und der sogenannten „Intellektuellen" für
dieses System zu gewinnen. Hunderttausende von aufrichtigen, tüchtigen
und sittlich hochstehenden Männern und Frauen standen in seinem Dienst,
zumeist ohne zu ahnen, welche wirklichen Zustände sie damit unter»
stützten, vielfach aus Ratlosigkeit, welches andre System sie statt des be»
stehenden wünschen sollten — genug, sie standen als „Bürgerliche" in der
Front gegen den „inneren Feind". Der „innere Feind" aber war in
Wirklichkeit eben das Volk, von dem „alle Gewalt ausging", mochte sie
sich auch zum Teil gegen dieses Volk selbst wenden. Mit Kriegsausbruch
verdoppeltc sich aller Eifer, alle Kraftanspannung. Das Gefühl gemein»
samer Leibes- und Lebensgefahr ließ alte Gegensätze sich mindern; erst als
der Krieg, der ein Krieg der Oberschichten, nicht der Völker war, dem Volke
unerträgliche Opfer und Leiden auferlegte, als das Gefühl anschwoll, irre-
geführt zu sein, als die Meinung aufkam: alles soll nach dem Willen
der Oberschicht beim alten bleiben, als endlich nach dem Zusammenbruch
der Kriegs-Weltpolitik der Oberschicht die Rache der Feinde dem Volke
unmittelbar drohte, da endlich, nach vier Iahren unerhörter Anstrengung,
besann sich die Masse des Volkes auf seinen Willen und auf seine Gewalt.
Die Macht der Oberschicht brach vor der ungeahnt ruhigen, aber auch un-
geahnt starken Willensäußerung des Volkes zusammen. Es ward klar,
daß auch jahrzehntelange Volkserziehung, daß auch der herrlichste Glanz
der Symboleutfaltung, die ganze Macht der Äberlieferung, die vielfältigste
Suggestion der Rede und Schreibe, daß die verfeinertste Anwendung der
Gewalt nicht imstande war, ein Volk gegen seinen bewußt gewordenen
Willen zu führen. Alles dies mußte versagen, als gegen die Geistigkeit,
gegen das Wort der Oberschicht der Volksgeist mißtrauisch und die Gegen-
suggestion wachgeworden war. Ein Sieg des freigewordenen Dolksgeistes,
der Durchbruch des Volkswillens, des deutschen Willens, das war die
Revolution von M8.

Die neuen Gewalten

H^om Volke hat der neue Reichskanzler die Gewalt. Keiue „gesetzliche,
^verfassungsmäßige Instanz" war am 9- November vorhanden, ihn zu
»berufen". Vom Volke haben die Staatssekretäre von heute ihre Cewalt.
Kein „ordentliches" Parlament hat sie bestätigt. Vom Volke haben die
Ausschüsse aus Arbeitern und Soldaten ihre Gewalt, die wir heute
allenthalben am Werke sehen. Volksbeauftragte sind sie alle, emporgetragen
von Zuruf und Wahl des Volkes, das seine alten Beauftragten gehen hietz.
Nach Iahrzehnten wird ein Staunen sein, wie einfach und natürlich, wie
verständig und wie menschlich dabei das deutsche Volk seine Gewalt ange-
wandt hat. Vergessen wir nicht: kein Tag, kein Vierteltag war mehr
zu verlieren, der Waffenstillstand mit all seiner Härte stand vor der Tür,
 
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