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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Was ist geschehen? Was muß geschehen?: Die Revolution
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0179

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«ignungen vielleicht und vielleicht langdauernde Einquartierungen. Aber
sie werden nicht so lange währen, wie die gleichen Maßnahmen, welche
belgische. polnische, serbische, französische Menschen vier Iahre lang von
feindlicher Abermacht hinnehmen mußten, obwohl sie persönliche Schuld am
Kriege auch nicht trugen. And sie werden zu ertragen sein nicht mit der
Aussicht auf kommendes immer schwereres Leiden und endliches Anglück,
sondern mit der Hoffnung auf Wiederaufbau und kommendes Glück, wenn
nicht für die Lebenden, so doch für ihre Kinder. Denn der Sinn des Sozia-
lismus ist nicht, daß alle gleich unglücklich, sondern daß alle gleich glücklich
sein können, soweit eine Gesellschaftsordnung zum Menschenglück eben bei-
zutragen vermag. Gleich glücklich auch nicht wie das Herdentier, sondern
wie der mitbestimmende schaffende Bürger einer freien Gemeinschaft.

Menschliches

^vvrenige Worte, zum Beschluß, über die rein menschliche Seite des Ge-
^^schehenen. Ich sehe zu Dutzenden um mich gute und liebenswerte
Veutsche, die auf das Vorgefallene und Werdende überrascht, bitter blicken,
ja innerlich ratlos, hoffnungslos. Liebe und ehrenwerte Volksgenossen:
Warum sollten wir verzagen? Sind Tataren und Turkmenen
mit Mordgelüsten und Blutgier, Schänderwille und Pöbellaune über uns
gekommen? Ich habe die Revolution in Berlin gesehen, und Bismarcks
Wort ist mir dabei in den Sinn gekommen: „Unsere Leute sind zum
Küssen." Heiter, froh einer glückhaften Zukunft, zutraulich wie nur ein
wahrhaftes Volk sein kann, haben sie die Tore der neuen Zeit aufgetan.
Als dann einige Ehrenwerte, aber der Zeit nicht Gewachsene, widerstanden,
da galt es freilich Ernst, und Blut mußte vergossen werden. Sie haben es
nicht leichten Herzens getan. Als aus Hinterhalten die ersten Schüsse
fielen, nahmen kriegserfahrene Rlänner die Führung in die Hand, keiner,
der es sah, wird ihre todernsten Züge vergessen, keinem werden die Worte
aus dem Gedächtnis entschwinden: „Wir wollen kein Blutvergießen! Räumt
die Kampfplätze! Alle Waffenfähigen heran! Wenn wir genug Mann-
schafteu sind, werden sich die Verblendeten vielleicht kampflos ergeben!"
Keiner wird die Sorge für Frauen und Kinder vergessen, die alle die eben
eingesetzten Führer der umstürzlerischen Gewalt beseelte. Ist in den Christ-
lichen von uns so wenig Christentum, daß sie nicht fühlen, wie es doch
ihre Nächsten und Allernächsten sind, die nun ein Neues bilden?
Unter den Nichtchristen so wenig Menschentum, daß sie der Brüderlich-
keit nicht gewahr werden, die neben aller politischen Leidenschaft heute
auch Millionen von Herzen durchzittert? Dies sollten die Duldenden be°
denken, denen Mitarbeit nicht gegeben ist. Den Tatbereiten aber ist der
Menschheit Zukunft jetzt in die Hand gegeben. Der Menschheit, denn
die Revolution, der Auftrieb dem fern-fernen Glück entgegen, ist ja auf
Deutschland nicht beschränkt. Rußland ist unsichern Schrittes, strauchelnd
vorangegangen; wo die furchtbarste Not und die schwerste Versäumnis
war, kam die Befreiung am wildesten, die Entfesselung dunkler Gewalten
am leidenschaftlichsten.. An Deutschland ist es, den Kulturvölkern ein
Beispiel zu geben. Ein Leuchten soll von dem Laüd der europäischen
Mitte ausgehen, das die östliche Fackelglut überhellt. Bald wird der
Westen folgen. Halten wir die Zügel fest in der tzand, unser Gespann wird
dann das Ziel zuerst, unbesudelt und unzerbrochen, erreichen! Ist das
eine Zeit für Kleinmut und Verzagtheit? WolfgangSchumann
 
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