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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1918)
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Avenarius, Ferdinand: Um Kaiser und Könige
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0182

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gekämpft; wir sind unterlegen. Beim Vergleichen mit der Gegenseite ein
schlechtes Zeugnis für unsre Politik, nicht für unsre Moral.

Die Abdankungsfrage ist vielmehr eine politische Zweckmäßigkeitsfrage.
Die Stellung der Feinde ist dabei leider nicht gleichgültig, aber doch
nur insofern, als sie ein Volksbedenken unterstreicht, das wir ohne das viel-
leicht unterdrücken konnten. Denn ob die Feinde unsre Demokratie für
ungesichert und also nicht verhandlungssähig halten, ist nicht die Haupt-
sache; ob wir selbst diese Sicherheit haben, entscheidet.

Es sind jetzt gerade zehn Iahre, daß so ziemlich alle Parteien sich einig
waren, daß dieser Kaiser uns in die größten Gefahren bringe. Damals,
am 2. Dezember l908, schrieb nicht etwa eine sozialdemokratische Zeitung,
sondern die „schwerindustrielle" „Rheinisch-Westfälische" über den Kaiser:

„Zunächst brach sich das Innenleben des Kaisers in Außerungen selbst-
herrlicher Natur dem eigenen Volke gegenüber durch: »Ich allein bin der
Herr; wem es nicht paßt, mag den Staub von seinen Pantoffeln schütteln;
ich habe von meinem Ahnen, dem großen Kurfürsten, die Gabe der Stetig-
keit. Ich werde die Sozialdemokraten zermalmen. Des Königs Wille ist
das oberste Gesetz.« Das Volk wurde offiziös darüber beruhigt mit dem
Bemerken, noch niemals habe Wilhelin II. die Verfassung verletzt. Das
ist richtig: aber ebenso richtig, daß das Volk einerseits unnötig gereizt
wurde und daß das Ausland durch solche in die Welt gedrahteten Aussprüche
des kaiserlichen Willens eine ganz falsche Ansicht über den Kultnrstand
Deutschlands erhielt. Im Ausland hält man die Deutschen für halbe
Sklaven. Man kann vor allem in den westlichen und romanischen Ländern
vielfach die Anschauung hören, daß Rußland und Iapan freiheitlicher
regiert seien als Deutschland ... Und das Ergebnis: Nach zwanzig Iahren
allgcmeines Mißtrauen des Volkes gegen Wilhelm II. und das Deutsche
Reich. Verlassenheit, Vereinsamung, Einkreisung ... Die „Nowaja Wremja"
schreibt: »Man hat uns unsre politische Haltung vorgeworfen und unsre
Hinneigung zu Frankreich. In diesen Tagen sind wir gerechtfertigt, denn
alle Russen werden erkennen, so lange Wilhelm II. regiert, daß das

Deutschland der Indiskretionen und Sprünge nicht bündnisfähig ist.» Im
ganzen eine Sachlage, die einem denkenden Menschen sorgenvolle Tage
und schlaflose Nächte bringen könnte, Aussichten eines Krieges gegen die
halbe Erde, eine Lage, gefährlicher als die Friedrichs des Großen."

Nochmals: das war s908.

Der Kaiser versprach, an sich zu halten, und etwa zwei Iahre lang
hielt er an sich. Dann erfolgte in einer Rede in Königsberg eine

ziemlich deutliche Rücknahme des Versprechens. Der Kaiser legte ein
religiöses Bekenntnis ab. Er fühlte sich von Gott mit dem Auftrag be°
gnadet, zu seinem Volke zu reden.

Ich habe damals (8. November WO) im „März" unter der Aber-

schrift „Das Bekenntnis des Bürgers" gefragt, ob nur der Kaiser das

Recht zur Religion und zum Bekenntnis habe und nicht anch der Vürger.
Nnd da ich nicht gerne unter die gerechnet werden möchte, die sich jetzt den
Mut zu einer Kritik finden, die sie früher nicht gewagt haben, will ich
aus jenem Aufsatz von vor acht Iahren einige Sätze abdrucken:

„Hat nicht auch das Volk das Recht auf eine Mission, die es mit
religiöser Inbrunst auffassen darf? Hat nicht auch das Vürgertum das
Recht auf Traditionen, die es heilig halten darf? Hat es nicht ein Be-
kenntnis gehabt s525 (im deutschen Bauernkrieg), das es mit einer Glut
 
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