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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
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Troeltsch, Ernst: Das Ende des Militarismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0206

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dabei hinter dem Prinzip der notwendigen Sicherung und beschimpfte
jeden Gegner dieser „Sicherungen" als unpolitischen Schwachkopf. Alle An->
regungen zu einem Mäßigungsfrieden, mochten sie von innen oder von außen

— es hat auch an den letztern, verhältnismäßig recht günstigen nicht gefehlt

— kommen, waren von tzause aus totgeboren. Generalstab und Bürgertum
wollten unter keinen Rmständen einen Kompromiß, auch auf die äußersten
Gesahren hin nicht; von den Massen nahm man an, sie würden bei rücksichts-
loser moralischer Bearbeitung bedingungslos folgen, und gegen warnende
Stimmen wurde moralischer Terror oder auch physischer Zwang ausgeübt.
Es ist eine Tragödie des tzeroismus und der Kühnheit, aber auch deutschen
Eigensinns und Trotzes, deutscher Weltunkenntnis und theoretischer Ver--
ranntheit, wobei Leichtsinn und Oberflächlichkeit, Eitelkeit und Habgier
eine nicht ganz geringe Rolle spielten. Ich fragte vor zwei Iahren einen
hervorragenden Admiral a. D., ob denn Tirpitz bei seinem Flottenbau
nicht das Verhalten der englischen Flotte habe vorausberechnet, daß sie
den Einsatz vermeiden und durch Sperre die deutsche Flotte zur Untätig-
keit verurteilen werde. Die Antwort war, daß Tirpitz das wohl erwogen,
aber angenommen habe, England werde das Völkerrecht respektieren und
daher eine solche Sperre nicht vornehmen können. Ich bemerkte darauf,
daß chas aber doch in demselben Moment, wo man selbst durch Belgien
marschieren wollte, sehr verwunderlich sei. Antwort: „Es gab in Deutsch-
land viel Größenwahnsinn und gibt ihn noch,- die Folgen wird man
sehen." Ganz ähnlich stand es mit der Vorausberechnung der Folgen des
U-Bootskriegs. Ein mir befreundeter Großindustrieller warnte Ludendorff
in langer Unterhaltung aufs dringendste. Ludendorff gab die Schwierig-
keiten zu, meinte aber, solche Dinge seien schließlich Sache des Gefühls,
und er habe das Gefühl des Gelingens. Von da ging der Terror aus,
dem man dann sich beugte: Gefühlspolitik. Helfferich hatte eines der schärfsten
Gutachten gegen den li-Bootkrieg gemacht, dann aber öffentlich im Haupt-
ausschuß diesen Krieg begeistert vertreten. Befragt, wie das möglich sei,
hat er damals geantwortet, das sei auch das schwerste sacrificium in-
tellectus, das er jemals gebracht habe. Kurz, so schrecklich es zu sagen
ist: wie die Dinge lagen, gab es keine Möglichkeit, den Krieg rechtzeitig
abzubrechen. Die psychologischen Voraussetzungen dafür fehlten, trotz aller
Kurse für Auslandskenntnis. Den Moral- und Ideenkrieg der Weltz
seine Tücke und Anwahrhaftigkeit nahm man auf dieselbe leichte Achsel
wie den relativ moralischen Gehalt desselben. Die Staatsmänner, die
wohl fast alle einig waren in der ernsten Auffassung der Sachlage,
vermochten aus Schwäche und Rnsicherheit der Militärdiktatur nicht zu
widerstehen. Der einzige, der vermitteln konnte, der Kaiser, war, wie mir
einer der Staatsmänner nach einer sehr ernsten Unterhaltung mit ihm
sagte, völlig weltfremd und ohne jeden politischen Instinkt. Die Mit-
teilungen des Prinzen Max über die Schreckenstage seiner Kanzlerschaft
beleuchten nicht bloß diese Tage, sondern das ganze System überhaupt.
Das gleiche gilt von den Mitteilungen des Herrn von Schultze-Gävernitz
über die Verhandlungen mit Wilson, die uns hier in der Hauptsache längst
bekannt waren, wovon aber natürlich nichts verlauten durfte und konnte.
Als Graf Bernstorff mit Ludendorff die Wilsonsche Vermittlung besprach,
mcinte Ludendorff, er habe doch keine Niederlage erlitten und brauche
daher keinen Frieden zu schließen. Bernstorff antwortete ihm: „Damit
Sie keine erleiden, sollen Sie Frieden schließen.« Bei solcher Geistesverfas-
sung wrr nichts zu machen.

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