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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,1.1918

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1918)
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Freie Kulturarbeit nach dem Kriege: ein Ausblick in die "neu orientierte" Zeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14375#0215

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Die Musik. Unsre Strauß, Reger, Mahler nebst je 500 Iüngern haben
des Volkes gewiß wenig gedacht, als sie ihre ausschließlich für die Höchstgebildeten
einigermaßen verständlichen Werke schufen. Volks-Musikunterricht, wir wissen
kaunr davon! Volkskonzerte: besucht vom Mittelstand ! Geht iu die Bierhallen uud
Gärten in Berlin 0, in die Kinos unü billigsten Operettenhäuser, wenn ihr
heutige sogenannte „Volksmusik" hören wollt — lange werdet ihrs nicht aus--
halten! Einzig die Laute schafft ein wenig Wandel, wenig genug, indes die
Reste des Volksliedes nnd anderen Lrbgutes verkümmern.

DieMalerei. Zu mehr als dem Ankauf einiger schmückender Reproduk-
tionen wird es ja beim Volk nicht ausreichen in absehbarer Zeit, da die Malerei
unserer Lebenden das Volk noch kälter läßt, als den nicht bis zur jüugsten
Verrücktheit vorgeschrittenen Mittelstand. Wie es aber mit Reproduktiouen
steht, das erwähnte ich schon.

Und der „Betrieb" geht immer weiter. Die Gegenwart ist zum Bersten aller
Gehirne, zum Zerreißen aller Nerven voll von politischen Spannungen. Man
hätte erwarten können, daß Tausende, Hunderttausende sich in das Verständnis
dafür einarbeiten würden, wie der Weltkrieg die Erde umgestaltet. Aber man
fand, soviel ich sehe, dazu in Deutschland nicht die Zeit; Vereine, Bünde, Ver-
bände, die ein politikähnliches Treiben entfalteten, wurden zu Dutzenden und
Aberdutzenden gegründet, und sie vergingen meist so rasch, wie sie gekommen
waren, ein Zeichen, wie gering ihr echt-politischer Gehalt war. Von politischcn
Schriften heimsten die dilettantischsten und lärmendsten die größtcn Erfolge ein.
Allmählich ist es sogar dahin gekommen, daß Politik für fast ebenso neben-
sächlich gilt wie vor dem Kriege. Es ist ärmlich, das politische Bild. Das
kulturpolitische Bild dagegen ist reich an Neugründungen: der Ausschuß
der deutschen Volksbildungsvereinigungen, der Verband zur Förderung der
Theaterkultur, der Volkshausbund, der Verein für Buchwesen und Schrifttum
und andre. Die alten Organisationen in eifriger Arbeit auf Kongressen, in
Schriften, Sitzungen und Agitationen.

So isl die Lage. Wie ich sie sehe: Nur wie ich sie sehc? Ich fürchte und
hoffe, daß Viele sie bald so sehen müssen.

Weitaus die meisten Anstrengungen sind in all dieser Zeit einer kleinen
Schicht zugute gekommen, nicht aber dem deutschen Volk, und auch
die meisten Kriegsgründungen wcrden denselben sehr beachtlichen, aber auch sehr
umgrenzten Erfolg haben. Wollen wir alle nun auf denselben Bahnen weiter,
so habcn wir etwa folgendes zu gewärtigen:

In mancher Hinsicht werden die Bestrebungen für das Wohl des Mittelstandcs
gefährdet und zurückgeworfen sein. Der „Mittelstand" ist ärmer geworden.
Er wird notgedrungen Nahrungmittel, Kohlen, Kleider, Schuhe kausen, ehe er
an Bücher, Bilder, sonstige Bildungmittel, Theater-- und Konzertkarten und
Schmuck herangeht. Ferner: die sehr kaufkräftigen Schichten werden sich durch
geringen Geschmack und geringes Verständnis für „Kultur" hervortun und da°
durch einen unheilvollen Einfluß üben. Endlich: Produktionmittel für Wertware
und Wertangebot aller Art werden weniger als seit sechzig Iahren zur Ver-
fügung stehen. Wir sind ärmer an allem außer au Arbeitkraft und Zukunft-
willen, ärmer und sogar arm. Das ist der größte Schaden nicht, es darf aber
nicht übersehen werden. So wie in den Iahren chOO—können wir nicht
weiter wirtschaften. Die Hauptfrage ist: Wollen wir inden bisherigen
Bahnen, ohne gründlicheBesinnung weitergehen? Mir scheint
die gebotene Antwort diese: Noch nie ist die gesamte auf Kulturarbeit ab-
zielende Bewegung vor eine Schicksalsfrage von dieser Größe gestellt gewesen
wie heute. Sie kann vielleicht endlich, nach dreißig Iahren angespannter
Anstrengung endlich, den stets ersehnten, nie erlangten „Anschluß an das

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