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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 7 (1. Januarheft 1919)
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Avenarius, Ferdinand: Zum neuen Jahr: Deutschland als Verbrecher
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0020

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geraubt, geknechtet, gefesselt, gewürgt ist, „Friede", der für seine Ilnsittlich-
keit nicht einmal einen höheren ethischen Vorwand hat, als „Bestrw-
sung". Nur Zwischen diese beiden Arten stellt schon Macchiavelli die
Wahl. Ift es so, daß ihr nach seinem Rate meint, das bisher stärkste
Volk Europas als eine nach dem Scheren beiseite gebüttelte Herde halb--
verhungerter Tiere wie heute so auch in Zukunft nur beschimpfen, ver--
höhnen und ausnutzen zu können und nicht mehr fürchten zu müssen? Ist
es so, daß auch all diese Propaganda für Völkerbund und Rechtsfrieden
nur da war, um die Welt zu betrügen und unsern eignen Widerstand mit
den Lockbildern von Idealen zu zermürben? And datz ihr nun diese Ideale
lachend als Kriegslistmasken wegwerfen dürft?

„Friede" oder Friede? Wir kommen ins Fragen und fragen uns weiter.

Wird diese Iahreswende Wende der Erdgeschichte sein oder nicht? Wird
am Ende von WL die Erde beherrscht sein von einem siegenden Ausbeuter--
tum, das ihre Schätze unter sich und seine Diener verteilt, das die Ge--
hirne mit Wahn und die Herzen mit Schmeichellügen nach seinen Wünschen
lenkt, den Haß weiterzüchtet und, wenn er in neuen Ausbrüchen toben will,
mit berauschenden Phrasen wiederum den Mord der Millionen sich zum
Geschäfte benutzt? Mit andern Worten: geht es im Alten fort? Oder
wird man uns andern das möglich machen, auch Haß und Rachegedanken
zu ihren Opfern ins große Grab zu tun?

Wie schwer wir Deutschen es haben werden, in einem werden wids
leichter haben: Fortan vermutlich, nach Troeltschs Ausdruck, „eine größere
Schweiz", werden wir an dem, was sich von Weltpolitik nunmehr gestalten
wird, nicht mehr mitverantwortlich sein. Iknter uns wird auch die Im»
perialisten-Gier tot sein, Gott sei Dank, und so werden wir unsrs Krast für
Gedanken und Taten frei haben, die fruchtbar sind.

Ich für mein Teil glaube an öie Wende der Erdgeschichte von der kapi--
talistisch--imperialistischen Ausbeutung zur sozialen und nationalen Ent-
wickelung der Eigenkräfte und zu ihrer organisierten Weltverbündung für
dieses Iahr noch nicht. Asien und Amerika, Afrika und Australien be-
herrscht der alte böse Feind noch ganz, und auch in Europa beherrscht er
um uns herum noch alle. Er sitzt ja nunmehr sogar in ganz besonderen
Prachten auf dem Thron. Mitteleuropa, das ist auch so wenig in der
Welt — stürbe Mitteleuropa, so bedeutete das für die Sonne beim Him-
melsgang ja noch nicht einmal ein Stündchen Weg über totes Land.
Äberschätzen wir endlich unsre Macht in dem Reiche nicht mehr, in dem
Rost und Motten zerstören können! Denken wir an das Europa des
Geistes, und was wir dem leisten können. Mit den Besonnenen aller
Völker zusammen, für uns und für sie. Der Wahn von unserm Verbrecher--
tum wird allmählich vergehn, wie jede Suggestion mit der Zeit sich auf-
löst. Aber darauf brauchen wir nicht zu warten. Die Geschichte hat uns
unsre Arbeit bestimmt — arbeiten wir! Keinem Volke waren jemals herr--
lichere Aufgaben gewiesen, als uns. Keinem stolzere, als uns gerade jetzt.
Alle die deutschen Kräfte, die bisher Kapitalismus, Imperialismus und
Militarismus gebunden hatten, nun werden sie frei — und wir sollten
verzagen dürfen, weil uns auf Irrwegen ein Anglück traf? A

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