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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1919)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Wahnsinn oder Entwicklung? [1]: Die Entscheidung der Weltgeschichte
DOI Artikel:
Meinecke, Friedrich: Der nationale Gedanke: im alten und neuen Deutschland, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0110

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diese Zerstörungskonkurrenz der verschiedenen nationalen Techniken, auch
zu der größten Gefahr einer Selbstzerstörung der ganzen ntodsrnen Kultur,
zu einer völligen Widersinnigkeit ihrer selbst, sobald man sich das alte
Wettrüsten auf dieser neuen, jetzt geschaffenen und vermutlich noch ins
Grenzenlose auszudehnenden Grundlage vorstellt. Von da äus tun sich
dann Ausblicke aus auf überhaupt neue Grundlagen der Politik, auf
Rüstungsbeschränkungen und technische Zurückhaltungen, Schiedsgerichte und
Friedensgarantien, die nicht mehr auf Theorie und Moral, sondern auf
dem Zwange der Verhältnisse beruhen. Die ganze technische Aktivität
Europas, auf die Aufgabe der Zerstörung statt auf die der Produktion ge-
wendet, würde der Selbstmord und das Ende Europas sein. Daher vor
allem stammen die düsteren Ahnungen und Sorgen, mit senen viele
diesen Krieg als das Zutreiben auf den Niagarasturz der Kultur be-
trachten, daher auch die Hoffnungen auf eine neue Genfer Konvention,
die nicht nur die Verwundeten schützt, sondern die Kultur am Leben erhält.

(Schluß folgt) Ernst Troeltsch

Der nationale Gedanke

im alten und neuen Deutschland

(Schluß)

-Arber wie kann der nationale Gedanke, der doch für uns modern-
^ geschichtlich denkende Menschen nun einmal eine geschichtlich-empirische,
also auch zeitlich-vergängliche und gebrechliche Kraft ist, in die Sphäre
des Ewigen und Reingeistigen hinaufgehoben werden? Zunächst haben
wir uns darauf zu besinnen, daß ja alle geistigen Gedanken der Wensch-
heit, felbst die des höchsten religiösen Aufschwungs, immer und immer
einen folchen empirischen Erdenrest mit sich führen und uns immer nur
an die Pforte, auf den Grenz- und Aussichtsberg zu reiner Geistigkeit
und Ewigkeit führen. Auf ihn gelangt man, indem man von ihnen abstreift,
was man nur irgend vermag, von irdifch-vergänglichen Bestandteilen.
Und eine solche Reinigungsarbeit haben wir jetzt mit dem nationalen
Gedanken gründlichst vorzunehmen. Lr war, so sahen wir, gar zu sehr
verwachsen mit sinnlichen Interessen und entgeisteten Anschauungen unsrer
höheren sozialen Schichten. Er war aber auch noch eng verkettet mit
geschichtlichen Kräften und Institutionen höherer Art, die wir für dauer-
hafter hielten, als sie sich erwiesen haben. Die Form der nationalen Ein-
heit, die uns Bismarck gegeben hatte, das Kaisertum der Hohenzollern,
das ruhmgekrönte Heer mit seiner allgemsinen Wehrpflicht, seinem ritter-
lich-stolzen Osfizierkorps und seinem preußischen Kriegsherrentum, über-
haupt die eigenartige Verbindung, aber zugleich auch Reibung von strenger
geschichtlich verwurzelter Autorität und persönlicher Freiheit und Lharakter-
bildung, die wir bisher hatten, — sie erschienen uns bisher auch als ganz
unentbehrliche und schlechthin wesentliche Stücke unsrer nationalsn Welt.
Wir haben sie nicht leichtsinnig geopfert, aber sie sind uns zerschlagen
worden durch die Revolution, und wir haben dadurch blutenden Herzens
erfahren müssen, daß sie den Keim des Verfalls schon in sich getragen
haben müssen, als sie uns noch das „trügende Bild lebender Fülle"
boten. Aber eben diese furchtbare Erfahrung drängt uns nun dazu,
unsre Zuflucht bei den schöpferischen Quellen aller nationalen Lebens-
formen zu suchen und auf den Lebenswillen einer nicht sterben wollenden

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