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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1919)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: Die rückflutende Welle
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0021

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Die rückflutende Welle

>^-uchen wir uns zurückzuerinneru an den Anfang des Krieges. An
(^^die Mühe, die wir hatten, der fanatischen Verdächtigungssucht zu
^^steuern, die sich allem an die Fersen heftete, das aus Feindesland
bekannt wurde, und wie schwer es uns gemacht wurde, die leichtfertige
Behandlung der Schuldfrage zu bekämpfen. Ich erhielt damals Briefe
von Menschen, die nicht begreifen konnten, wie meine ihnen wert ge-
wesene Vaterlandsliebe, mein „Germanismus", so zurückhaltend sein könne
im Arteil über die Schuld am Kriege, so wenig begeistert für den Krieg
selbst. So wird es vielen von uns gegangen sein. Wir litten bei jeder
Zeitungsnummer, die wir in die Hand bekamen, unter der unedlen und
kleinlichen tzaltung. Aber der Masse des halb und ganz gebildeten Bürger-
tums war es immer noch nicht scharf genug. Avenarius erinnerte neulich
an den Fall Spitteler. Fast noch häßlicher war der Fall Häckel contra
Hodler. Dazu der tägliche Kleinkram, was rückkehrende Auslanddeutsche
alles erlebt haben wollten — viel wirklich Gemeines, aber auch sehr viel
freie Schöpfung der aufgeregten Sinne —, gar, was man den abreisenden
Iapanern am Gesicht wollte abgelesen haben. Die Geschichten von Brunnen-
vergiftungen und Verrätern und daß man die Gefangenen zu gut be-
handele — als ob man Gefangene überhaupt zu gut behandeln könnte —
Gefangene im Slend, nicht die jetzt mit den Ansprüchen des umschmeichelten
Siegers abziehen.

Erinnern wir uns alles des recht deutlich, damit wir verstehen, was
heute geschieht. Denn was heute geschieht, ist genau dasselbe, nur in um-
gekehrter Richtung. Die Welle flutet zurück. Ganz genau derselbe Fanatis-
mus, der keine Vernunft annehmen will, der alles unbesehen glaubt, ganz
genau dieselbe Suggestion, die Tatsachen aus dsr blauen Luft zusammen-
ballt, ganz genau dieselbe Verdächtigungslüsternheit, nur alles in der ent-
gegengesetzten Richtung, alles ins eigene Fleisch hinein. Oder nicht ein-
mal das. Sondern jeder tut an seinem Nächsten Buße oder sucht nach
öffentlichen Sündenböcken. Erinnern wir uns nun, mit welcher Leiden-
schaft wir jetzt das damalige Treiben verurteilen, und wie jeder sich heute
schämt, daran teilgenommen zu haben, so kann uns das dahin führen, zu
bedenken, daß genau so eine Zeit nicht fern ist, in welcher das Pendel ein
anderesmal zurückschlagen wird. Dann wird man bedauern, die jetzigen
Tobsuchtanfälle gegen Männer mitgemacht zu haben, welche auch ihrerseits
Erzeugnisse der Amstände, der geschichtlichen Entwicklung unsres Volkes, nicht
zuletzt unsrer — unser aller — politischen Gleichgültigkeit sind und als
solche handelten.

Mit dieser Verurteilung unsrer politischen Gleichgültigkeit ist bereits
gesagt, daß wir alles andre eher möchten mit diesen Betrachtungen, als die
politische Leidenschast dämpfen, die jetzt das Volk ergriffen hat. Wir
möchten nur, daß sie auch wirklich politisch sei. Leidenschaft hatten
wir auch sonst genug auf dem Gebiet der Politik. Nur war es regelmäßig
keine politische Leidenschaft, keine, die sich auf Zustände und Möglichkeiten
bezog, soirdern einerseits Leidenschast, die an Personen herumzerrte, statt
Zustände zu ergründen und zu bessern — im kleinlichen Zank waren wir
immer groß — , anderseits Leidenschaft für Doktrinen, die keine politische
Verwirklichungsmöglichkeit haben. Beides schäumt auch heute wieder riesen-
hoch auf. Nnd wie vorher die nationalistische Welle, volkspaltend und ver-
hetzend, jede besonnene Politik unmöglich machte, so scheint es nun mit

s
 
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