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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 9 (1. Februarheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0094

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Bom Heute fürs Morgen

Die Verhungernden
«j^m Iahre l9s7 betrug die Zunahme
Oder Sterbefälle der Zivilbevölkerung
in Deutschland bereits etwa 52 v. H.
nnd im Jahre sogar 57 v. H. gegen»
nber dem Friedensjahre W5. Nach
sorgfältiger Verechnung ergibt sich für
die Iahre lZjS bis Ende lM insgesamt
eine Zahl von rund 765000 Lodes-
opfern der Blockade. Hiervon entfallen
allein auf das Iahr k9i^ 260 000 und
auf l9lS 29-lOOO Todesfälle, unter Aus-
schlnß der durch die Grippe verur-
sachtsn. Auter den Kindern und den
jugendlichen weiblichen Personen waren
die Opfer der Antercrnährung beson-
bers schwer. Eine für das Iahr lM
vorgenommene Auszählung der Sterbe-
fälle nach Alterstlassen hatte in dieser
Hinsicht das erschreckende Ergebnis, daß
im Alter von l. bis 5 Iahren ein
Mehr von rund der Hälfte, im Alter
von 5 bis s5 sogar ein Mehr von 55
v. tz. an Todesfällen gegenüber dem
Friedensjahr Ghö zu verzeichnen war;
bei den weiblichen Personcn von s5
bis 50 Iahren ergab sich eine Zunahme
der Todesfälle um rund ^5 v. H. Allein
im Iahre l9s7 snrd über 50000 Iugend-
liche im Alter von s bis s5 Iahren und
s5000 Mädchen und Frauen im Alter
von s5 bis 50 Fahren durch die Blockade
dahingerafft worden. Bei den mehr als
60jährigen Männern und Frauen aber
führte l9A die Blockade in ruud s27 000
Fällen zum vorzeitigen Tode. Dabei
sind noch nicht berücksichtigt die Sterbe-
fälle an Folgekrankheiten, auch nicht die
an Luberkulose. Vor allem aber: da-
bei ist nicht berücksichtigt der unbe-
rechenbare und unschätzbare Verlust an
Volkskraft durch die krank uud siech
gewordenen Millionen, noch der Aus-
fall an Nachkommenschaft.

Unsre Angaben stammen nicht von
„irgendwem". In einer außerordent-
lichen Sitzung der vereinigten ärztlichen
Gesellschaften von Berlin hat sie am
iL .Dezember f9f8 Geheimrat Hamel
bekannt gcgebenj der Medizinalreferent
im Reichsamt des Innern. Männer
von europäischem Ruf, wie Ezernh,
Kraus, Kuttner, Rubner, Orth, Veber


nahmeu an der Sitzung teil, es ging
alles höchst ruhig und sachlich zu, aber
keiner der 5000 wissenschaftlich gebil»
deten Hörer konnte nach all dem Vor-
getragenen die Richtigkeit der Einzel-
angaben und die Schlüssigkeit der Fol»
gerungen anzweifeln. Einen eingehen-
den Bericht gibt die erste diesjährige
Nummer der „Berliner klinischen
Wochenschrift". Am 8. September l9sS
stellte Baden-Powell fest, die englische
Blockade tue ihre Schuldigkeit: „die
deutsche Rasse wird ruiniert". Der
französisch-englische Suggerisrkrieg tat
auch seine Schuldigkeit: wir, die wiv
gegen das Aushungern unserer Frauen
und Kinder zur Notwehr griffen, wir
sind für die Welt die Verbrecher. Auch
gegen die gänzlich Wehrlosen dauert
nun die Hungerblockade fort, die Lag
für Tag neben den Greisen die Frauen
und die Kinder mordet, weil man unser
Volk „bestrafen muß". Ls handelt sich
um hunderttausendfachenMord. Sucht,
wie ihr suchen könnt, ihr findet kein
anderes Wort dafür, das zutrifft.

Gebt die Gefangenen frei!

^e nsre Leser werden sich der beiden
ergreifenden Bilder erinnern, die
dem Kunstwart aus fernen Gefangenen»
lagern mit der Bitte zugeschickt wurden,
sie als Mahnungen zu veröffentlichen:
Deutschland, gedenke deiner gefangenen
Söhne! Wir haben diese zwei, wir
möchten sagen: Verkörperungen deS
Heimwchs in Kw. XXIX, 9 und XXX,
wiedergegeben. Was die Menschen, die
hier in der Sprache des Unaussprech-
lichen sprachen, seelisch gelitten haben,
das ist nur mit dem Erleiden bei
schwerster Strafgefangeirschaft zu ver»
gleichen, sie litten, daß vielen ihr
ganzes Leben gebrochen ist, und sie
litten ohne Schuld. Das aber ist daS
schlechthin Entsehliche: sie leiden noch,
und ein Teil von ihnen leidet wie
Sklaven, ja: schlimmer als Sklaven,
da ihren „Herren" das materielle In-
teresse an ihrer Leistungsfähigkeit fehlt.
Daß man die gefangenen Deutschen
im Feindeslande zurückhält, dagegen
sammelt jetzt das deutsche Rote Kreur
 
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