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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1919)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Wahnsinn oder Entwicklung? [1]: Die Entscheidung der Weltgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0104

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Wahnsinn oder Entwicklung?

Die Entscheidung der Weltgeschichte

r-^>n eineni Gespräch, das ich vor dreiviertel Iahren mit Meinecke snhrte,
^ t entfiel mir die Bemerkung, der Weltkrieg sei ein ungeheurer Wahn-
<^)sinn. Darauf erwiderte Meinecke, daß er das von seinem realistisch-
historischrn Standpunkt aus nicht zugeben könne; der Krieg sei sozusagen
normal aus den historischen Verhältnissen entstanden und bedeute die
Lösung einer schweren politischen Krisisi es fehle nur auf allen Seiten
an der Staatskunst, sie zu meistern. Während ich diesem Gegensatze nach-
dachte, traf mich zufällig die Aufforderung, für das Werk „Der Weltkrieg
und seine Einwirkung auf das deutsche Volk" den einleitenden Aufsatz über
das „Wesen des Weltkrieges" zu schreiben. Das Werk ist in vielen Teilen
ein Denkmal der Illusionen des deutschen Volkes im März lysZ. Aber mein
Aufsatz, den damals allerdings die — sehr einfältige — Zensur zu vielen
Rücksichten und unmittelbaren, wörtlichen Veränderungen nötigte, scheint
mir heut erst recht die Antwort auf jene Frage zu sein, und die Frage
selbst scheint mir für den Moment noch viel dringender als damals. Sind
wir das Opfer eines Wahnsinns, eigenen und fremden, oder erleben wir
die Folgen unvermeidlicher historifcher Entwicklungen, die wir nur im
einzelnen, aber nicht im ganzen überhaupt hätten meistern können? Sind
wir Europäer nur irregeleitet und verblendet in einen an sich vermeid-
baren Krieg hineingetaumelt, oder war früher oder fpäter eine Auseinander-
setzung unausbleiblich? War für uns Deutsche von Hause aus ein ein-
facher Machtsieg unmöglich und infolgedessen eine Abmachung, wie die von
Wilson geplante, von Anfang an die Rettung, oder mußte das furchtbare
Schicksal durchlebt werden, um die wirkliche Machtlage klar und die Ge-
müter für eine andere Ordnung geneigt zu machen? Die Antwort ist für
nnsre innere Haltung wichtig. Ich gebe daher jenen heute mit dem Buche
selbst verschollenen Auffatz hier verkürzt nnd befreit von den Nücksichten
auf die Zensur wieder.

g^-n der Tat wird man vor allem sagen müssen, daß die Katastrophe in
Oihrem einfachen Grundvorgang gar nichts so schwer zu Begreifendes ist

2. Februarheft 19,9 sXXXIl, io)

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