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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

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Heft 7 (1. Januarheft 1919)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Freie Kulturarbeit nach dem Kriege, [2]
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Marsop, Paul: Friedrich Klose
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0026

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im „friedlichen Völkerverein lebenden Staaten". ALer die Sorge nm sie darf
uns nicht lähmen — denn sie sind gar nicht in Gefahr. Sogar zehn Iahre
kommenden Bürgerkriegs in Rußland und kommender Zeiten der Pest und
des Hungers würden dort weder Tolstojs noch Dostojewskijs noch Solövjeffs
noch Tschaikowskjis Werk auslöschen. Den großen Schöpfern von Kulturwerten
und ihrer kleinen Gefolgschaft kann keine „Neuorientiernng" Unbilliges oder
Unwürdiges, Sachschädliches oder Sachentwertendes antnn. Erhebt jedoch dieser
oder jener den Änspruch, alles wovon hier gesprochen wurde, sei gar nicht
Kultur, das Wort werde für alle diese Dinge nur mißbraucht, da es eben jene
nie zu verallgemeinernden Werte und Entwicklungzustände der Wenigen, ja des
Einzelnen meine, so erwidern wir: bis kein besseres Wort da ist, werden wir
am überlieferten Gebrauch festhalten. llnd sollte das nicht für ein sehr edles
Wort ein würdiger Inhalt sein: daß ein ganzes Volk an den aus seinem Schoße
geborenen Gütern des Geistes und Stoffes so viel lebendigen Anteil hat, wie
unter günstigsten U-mständen möglich ist? Am dieses Ziel zu benennen,
brauchen wir das Wort. Und dieses Ziel ist doch wohl unzweifelhaft der ge--
waltigsten Anspannnng sehr hoher geistiger Kräfte wert.

Geschrieben im April lM Wolfgang Schnmann

Friedrich Klose

Tonpoet Klose: ein Eharakterkünstler, bis zum Eigenwillig-Starrcn
Iin sich geschlossen. Seine Hausgötter, denen er köstliche Dankopfer spendet:

Liszt und Bruckner, Wagner und Berlioz. Und, Lalderonisch genommen,
„über allen Zauber" Beethoven. Badenser, schon halb Schweizer: ein kerniger, ehren-
fester deutscher Meister, doch auch mit Sinn für anmutige romanische Schön-
heitslinien. Sich mit der trotzigen Gebärde dessen, der sich aus der Fülle tief-
eindringenden Schauens feine eigenen Darstellungsgesetze entwickelt, von den
Schulregelklopfern abkehrend, mit jedem neuen Werke die gelernten Aesthetiker
verwirrend. Froh der Kraft, einen breit ausladendeu, musikhaltigen Stoff wirksam
abschichten, bedeutend gliedern, zu mächtigen Gipfelungen emportreiben zu kön-
nen. Souveräner FarbenbeherrschLr, der alles Nachmalende, Schmückende, glanz--
steigernd Aufhöhende in feste Form einschmilzt. Weltbllder in starken Rahmen
fügend. Vor der Natur stets andächtig gebeugt — reicher Segnung gewiß.
Ein passionierter Wenigschreiber, dem Erlebnis entgegenharrend. Von diesem
dann bis ins innerste Sein durchdrungen. Einmal Faust, dem der letzte Erdcn-
traum zerflatterte und dem kein Osterglockenklang mehr die giftgefüllte Schale
vom Munde zieht. Ein andermal kindhaft glänbig. Und wiederum dionysisch
feuertrunkener Pantheist. Aber immer fanatisch aufrichtig, wie alle geborenen
Mhstiker.

Seines Wertes sich wohl bewußt, doch überbescheiden. Einer, der sich nicht
an- und ausbieten mag. Wurde so mit allem, was er, naiv schenkend, dahingab,
ein reifer Fünfziger, ohne sich durchzusetzen (auch im idealistisch trauten Deutsch-
land mnß man mindestens über zwei Paar Lllbogen verfügen). Deshalb ver-
anstalteten einige Getreue jüngst für ihn zu München eine „Klose-Woche". Da
fielen denn denen, die im Alltagskreislauf musizieren und auf Musik horchsn,
wieder hübsch viel Schnppen von den Augen. „Ist's möglich!" riefen biedere
Wortführer der öffentlichen Meinung. „Wir haben ja eine nene deutsche Be-
rühmtheit zu verzeichnen!" Nnnmehr kommt es darauf an, das wachgerufene
Interesse rege zu halten, Kloses Werke so oft und so sorgsam aufzuführen, bis
ihr Schöpfer auch den Auffassungsträgen herzgerecht geworden sein wird.

Da liegt es uns vor allem ob, nns üer „Ilsebil l" pfleglich anzunehmen,
jenes tiefgründigen, im goldklar schlichten Märchenton anhebenden nnd ans-
klingenden, auf seinem Höhepunkte zu erschütterndem Tragödienpathos gestei-
gerten Musikdramas, das unter allem, was die Wagner-Nachfolge bisher her-
vorbrachte, die meiste Anwartschaft darauf hat, Volkstümlichkeit zu erlangen
(in unseren Opernkästen uach wälschem Baumuster fordert es freilich ebensosehr

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