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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI issue:
Heft 7 (1. Januarheft 1919)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Freie Kulturarbeit nach dem Kriege, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0025

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Politiker neu, befruchtet werden. Akles hier Gesugte gilt für beide Richtungen:
wie die Kulturarbeiter nrit den Dingen der Politik, so müssen sich die Politiker
mit deu Notwendigkeiten der Kulturarbeit in weit höherem Maße als bisher
beschäftigeu. Von der eminent politischen Wichtigkeit der Kulturarbeit ist ja
gerade in diesen Blättern so ost die Rede gewesen, daß ich heute davon schweigen
kann, doppelt, nachdem der Krieg zu 'dieseu Theorieu ein so eiudriugliches
Praktikum abgehalten hat. '

Man könnte es geradezu als ein Erfordernis der Zeit betrachten, daß bald
einmal ein Handbuch der Kulturpolitik geschaffeu würde, welches dartäte, in
welchen einzelnen Beziehungen und mit welchen Gesamtwirkungen kultürliche
Dinge, Organisationeu, Gesinnungen usw. mit den verschiedenen Staats-, Rechts-,
Wirtschafts-, kurz: Lebensordnungen verknüpft sind. Da müßte beispielsweise
der Artikel „Kunsthandel" etwa folgendermaßen aussehen: s. Beschreibung des
gegenwärtigen Zustandes, dessen Hauptwesenszüge demuach 4., 8, 0, v usw. sind.

2. Aufzählung aller bisher hervorgetretenen Reformvorschläge; sie richten sich
gegen den Gesamtzustand, gegen L. und 0, gegeu 8 und 0, gegen .4. und O usw.

3. Von diesen Reformvorschlägen liegen tl. und 8 in der Richtung der politischen

Partei I, 0 in der der Partei II., 4. und 6 haben zu Gegnern dis Parteien
III und IV usw. H. Von den Reformvorschlägen sind ohne tiefgreifende
politisch-wirtschaftliche Umwälzungen, d. h. „innerhalb" der bestchenden Lebens-
ordnung, durchführbar ch, 8, 0, nicht jedoch I), 8, 8. 5. Innerhalb anderer

Lebensordnungen haben die betreffenden Angelegenheiten sich so und so ver-
halten, oder: würden sie sich vermutlich so und so verhalten. Ich bin mir
natürlich durchaus bewußt, daß der Plan eines solchen Harrdbuchs schwer
durchführbar, zum Teil sogar nahezu utopisch ist. Aber er bezeichnet die
Richtung, in der unsere Erkenntnis sortschreiten muß, und jede halbwegs
beträchtliche Annäherung an das damit aufgestellte Ziel wäre schon ein Gewinn.
Denn was heute, nachdem alles leicht Erreichbare erreicht ist, die „Lage" der
Kulturpolitik im tiefsten kennzeichnet, das ist ihre Unkenntnis ihrer eignen
„Lage", ihrer Möglichkeiten und Anmöglichkeiten, Wahrscheiultchkeiten und Un-
wahrscheinlichkeiten.

Durch schärfere Erkenntnis dieser Lage wird zuerst eins möglich und dem
praktischen Kulturpolitiker endlich dringend nahegelegt werden: eine weit „Poli-
tischere" Technik der Kulturpolitik. Die Aufgaben, die noch zu lösen sind,
als solche theoretisch zu erörtern, kulturpolitische „Ideale" auszuarbeiten, das
ist schon reichlich geschehen, uud daß es weiterhin geschehe, dafür sorgt unsre
deutsche „Natur". Aber sie sorgt weit weniger dafür: große Iielvorstellungen
in ihre Teile aufzuspalten und für jeüe Teilaufgabe von Fall zu Fall, unter
immer neuen kulturpolitischen Bündnisbildungen und Kompromissen, die
Kräfte in Bewegung zu setzeu. Die kulturpolitische Technik ist heute
fast überall dilettantisch, so wirksam sich echte Kultur-Liebhaberei in einzelnen
Dingen, auf einzelnen Gebieten erwiesen hat. Als Großes uud Ganzes ist die
kulturpolitische Arbeit unorganisiert, so stark auch innerhalb ihrer eiuzelne Orga-
nisationen dastehen mögen. Sie muß politisiert, sie muß organisiert werden.
Gelingt das, so wird die günstige Rückwirkung der Kulturpolitik auf die „politische
Politik" nicht ausbleiben, während heute beide Bestrebungen ohue Fühlung
nebeneinander her laufen.

T

/Lin Wort zum Beschluß. Immer wenn man von Kultur oder gar von
^Kulturpolitik spricht, erheben sich irgenüwo Stimmen, welche jede Möglich-
keit der Kultur°„Arbeit" urck> Kultur°„Politik" leugnen. Kultur sei ein für
allemal Sache der Wenigen oder der Einzelnen, der Hochgeistigen, sei freie
Schöpfung der Schöpferischen und freies Gut einer dünnen Schicht der Empfäng-
lichen. Wir verstehen das. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von
denen sich die Schulweisheit der volkstümlichsten Zukunft ebensowenig träumeu
lassen wird, wie die Masse der Freibürgerschast der für die Zukunft erhosfteu

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