Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 32,2.1919

DOI Heft:
Heft 11 (1. Märzheft 1919)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Wahnsinn oder Entwicklung? [2]
DOI Artikel:
Ulbricht, Wilibald: Religionsunterricht in der Volksschule, 1
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14376#0136

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gewinnung seiner. alten festländischen Vormachtstellung und Lrängte der
russische Meer- und Landhunger dazu, das Germanentum in ein Einsluß-
gebiet des Zarismus zu verwandeln, oder, da es unter Nikolaus I. schon
nahe an dieser Sachlage war, zurückzuverwandeln. War aber einmal das
englische Weltreich am Krieg beteiligt, dann war durch Druck und durch
Gelegenheitsinteresse die Welt daran beteiligt, und auch Nordamerika
konnte eine Niederwerfung Englands nicht zugeben. So ist alles ge-
kominen, wie es kam. Es war sür Vernunft und Einsicht, menschliche Staats-
kunst und kulturelles Gesamtinteresse vielleicht nicht möglich, den Lauf
des Schicksals zu ändern, wenn auch die Herausforderung Amerikas zu den
schwersten Fehlern der deutschen Militärpolitik gehört. Aber die politi-
schen Leidenschaften der Nation waren nun einmal im Gang, und in der
Furchtbarkeit des nationalen Schicksals war die Vernunft ohnmächtig ge-
worden. ^

<^oweit die damaligen Aufzeichnungen. Inzwischen hat die Welt-
^geschichte entschieden. Was „normal" begonnen hatte, ist durch die
Besonderheiten der modernen Zivilisation, Politik und Technik zum Wahn-
sinn geworden, aber dieser furchtbare Ausbruch war doch das Mittel, un-
haltbare Verhältnisse aufzulösen. Mit Recht nennt Lensch den Krieg
die „Weltrevolution". Zwar der Wahnsinn der Welt ist noch nicht zu
Ende. Ihm würde nur die Wilsonsche Völkerbundpolitik ein Ende be-
reiten können, die zwar eine Par Americana bedeuten, aber doch eine Er°
lösung von den aufgehäuften und weiterdrohenden Leidenschaften scin
würde. tzier steht die Zukunft und die Lösung noch aus, wenn auch der
Siegesrausch der französischen und englischen Inrperialisten nicht allzuviel
Hoffnung gewährt. Nnter dem Titel der „Bestrafung" wird ja dort eine
noch weit gewalttätigere Nnrechtspolitik getrieben, als sie bei uns unter
dem der „Sicherungen" betrieben worden ist. Aber Deutschlands Schicksal
selbst ist entschieden. Die Weltgeschichte hat gegen uns gesprochen. Der Osten
und die europäische Mitte sind die bisherigen Opfer der Weltrevolution. Wir
hatten uns übernommen und sind beim Ikarusfluge gestürzt. Wie weit unsre
eigeuen Fehler und einzelne Personen dabei mitwirkten, ist vorerst gleich-
gültig. Heute gilt es vor allem die Tatsache zu sehen. Nnsre gegen Westen
gerichtete Völkerwanderung ist unterdrückt, und die vorübergehende Hoff-
nung auf einen Ausweg wenigstens nach Osten ist so gut wie zerstört.
Wenn alles gut geht, so werden wir eine größere Schweiz und werden von
unten auf durch wirtschaftliche und geistige Arbeit unsre Existenz neu
aufbauen müssen. Von dieser Sachlage aus ergibt sich alle weitsre Lin-
stellung auf die Zukunft. Davon werden wir weiterhin zu handeln haben.

Ernst Troeltsch

Religionsunterricht in der Volksschule. I

/^'s ist kennzeichnend für die grundstürzenden Wirkungen der Revolu-
L^tion auch auf die Gebiete unsres innerlichsten Kulturlebens, daß große
^^Teile derselben Lehrerschaft, die vor zehn Iahren in heißem Kampfe
mit einer Gemeinschaft der stärksten Kulturmächte — Staat und Kirche —
um eine Reform des Religionsunterrichts in der Volksschule rangen, heute
auf dem Plane sind, um diesmal — wenn nötig in einem Kampfe gegen die
sozialdemokratische Regierung — der Volksschule den Religionsunterricht
zu erhalten.
 
Annotationen